Der Ingenieur Ernst Dircksen ist als bedeutender Eisenbahnbauer bekannt geworden, der selbst schwierigste bauliche Anlagen wie ein genialer Künstler in die gegebenen, natürlichen Verhältnisse hineinkomponierte und niemals gewaltsam-schematische Lösungen der ihm gestellten Aufgaben lieferte. Sein Beruf führte ihn von Danzig aus in fast alle deutschen Lande.
Am 31. Mai 1830 wurde er in Danzig geboren. Mit mehreren Geschwistern besuchte er in Danzig, wo sein Vater Elementarlehrer war, die St. Johannes- und dann die Petrischule. Da seine Begabung für Mathematik und Zeichnen früh bemerkt wurde, ging er als Eleve zum Baumeister Knauff, der bei der Brückenbaukommission in Dirschau tätig war, und wirkte mit beim Bau des Weichsel-Haff-Kanals und der Rotebudeschleuse an der Abzweigung dieses Kanals von der Weichsel in Danzigs östlicher Umgebung am Frischen Haff. Ab Herbst 1850 besuchte er die Bauakademie in Berlin, wo Wilhelm Stier sein Förderer wurde ; hier ließ er sich zum Bauingenieur ausbilden. Ein Stipendium der Danziger Friedensgesellschaft ermöglichte ihm eine Bildungs- und Studienreise.
Nach seiner Prüfung als Bauführer im Jahre 1853 war er im Auftrage der Regierung bei den großen Brückenbauten über die Weichsel bei Dirschau in Westpreußen und über den Rhein bei Köln tätig. Als Regierungsbaumeister wechselte er schließlich in den Tätigkeitsbereich hinein, in dem ihm große Erfolge zuteilwurden : Von 1859 bis 1867 baute er Bahnanlagen in der preußischen Provinz Posen und in Oberschlesien bei der Eisenbahndirektion in Erfurt, wo er 1866 auch Eisenbahn-Bau-Inspektor wurde. 1867 war er in leitender Position beim Bau der Berliner Ringbahn, der „Verbindungsbahn“, beteiligt, und 1870 schließlich, als Vierzigjähriger, wurde er Baurat der Eisenbahndirektion in Elberfeld.
Im Kriege wurde er 1870 Chef der 1. Feldeisenbahnabteilung und als solcher durch eine bewundernswerte Leistung bekannt : Zur südlichen Umgehung der Festung Metz baute er eine 37 km lange Eisenbahnstrecke von Remilly nach Pont-à-Mousson in nur 33 Arbeitstagen.
Von 1874 bis 1883 war Ernst Dircksen Vorsitzender der Eisenbahndirektion für den Bau der Berliner Stadtbahn. Dieses Projekt für die damals sehr große Summe von 67 Millionen Mark machte ihn weltberühmt, anlässlich der Eröffnung wurde er zum Geheimen Regierungsrat ernannt.
Als Oberbaurat und Abteilungsdirigent kam er 1883 zur linksrheinischen Eisenbahndirektion nach Köln. Hier leistete er wertvolle Arbeit beim Neubau des Zentralbahnhofs und bei den Kölner Stadtbahnanlagen sowie bei den Streckenführungen im Ruhrtal, in der Eifel und im Hunsrück.
Nach einer Zwischenstation in Frankfurt/Oder wurde er 1892 Abteilungsdirigent bei der Eisenbahndirektion in Erfurt. Hier hatte er schwierige Linienführungen im Thüringer Wald zu gestalten, die er, wie überall im Laufe seines Wirkens, mit genialem Einfühlungsvermögen in die Landschaft möglichst schonend einpasste, ein Verdienst, das wir vielleicht erst heute im Rahmen des Umweltschutzgedankens richtig zu würdigen wissen. Ernst Dircksen war nicht nur ein hervorragender Eisenbahn-Ingenieur, er besaß auch menschlich anerkannte Qualitäten. Aus Dankbarkeit gestalteten ihm seine Schüler an der Stelle seines wohl größten beruflichen Erfolges ein Denkmal. Ernst Dircksen starb am 11. Mai 1899 in Erfurt.
■ Hans-Jürgen Kämpfert
Bei der Enthüllung des Denkmals – am 13. Oktober 1902 – hielt der Geheime Oberbaurat O. Sarrazin die Festrede, aus der wir die folgenden beiden Passagen zitieren:
Bei keiner seiner Schöpfungen tritt seine Eigenart aber schärfer zutage als bei dem Hauptwerke seines Lebens, der Berliner Stadtbahn. Sie ist Dircksens ureigenstes Werk, bei ihr ist sein Wissen und Können, sein schöpferischer Geist am ausgeprägtesten in die Erscheinung getreten. Wir deutschen Techniker sind stolz auf dieses Werk, diese in jeder Hinsicht mustergültige Anlage, die von aller Welt, nicht am wenigstens auch vom Auslande, bewundert und trotz unserer schnelllebigen Zeit immer wieder in ihren Gesamtanlagen wie in ihren Einzelheiten als Vorbild benutzt wird, an welcher trotz ihres verhältnismäßigen Alters das seither heranwachsende Geschlecht immer von neuem lernt und sich bildet.
Und darum haben wir an diesem wichtigen Bindeglied zwischen unseren Bahnnetzen im Osten und im Westen – gleich wichtig für den Friedens- wie für den Kriegsverkehr –, an diesem Denkmal, das Dircksen sich selbst gesetzt hat, sein Denkmal aufgerichtet […].
Aus: Zeitschrift für Bauwesen 53, 1903, H. L, Sp. 1–4, hier Sp. 4