Gründung und Konsolidierung
Millionen deutscher Flüchtlinge und Vertriebener jenseits von Oder und Neiße, so auch die Westpreußen aus dem Land am Unterlauf der Weichsel, waren als Folge des 1945 zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieges heimatlos geworden. Fern ihrer alten sozialen Bindungen mussten sie sich, über die vier Besatzungszonen der Nachkriegszeit zerstreut lebend, vordringlich zunächst eine neue Existenz aufbauen. Ihr Heimatbewusstsein, ihr Bedürfnis nach Zusammenhalt wollten sie jedoch trotz der damals zu bewältigenden Not nicht aufgeben. Dem stand ein Verbot der Besatzungsmächte entgegen, organisatorische Vereinigungen von Vertriebenen und Flüchtlingen zu gründen. Es wurde befürchtet, dass damit eine politische Radikalisierung der Bevölkerungsgruppe der Heimatvertriebenen im Nachkriegsdeutschland entstehen könnte.
Dieses Verbot wurde 1948, kurz vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949, schließlich aufgehoben. In der im selben Jahr entstandenen DDR blieben landsmannschaftliche Vereinigungen jedoch nach wie vor untersagt. Im freien Teil Deutschlands hingegen konnten nun landsmannschaftliche Verbände gegründet werden. So bildeten sich auch unter den Westpreußen zunächst Heimatkreisgemeinschaften, deren Ziel es war, die heimatlos gewordenen Landsleute aus den jeweiligen westpreußischen Kreisen auf Heimattreffen zusammenzuführen und ihren Zusammenhalt zu stärken. Die westpreußischen Heimatkreisvertreter trafen sich dann erstmals im Juni 1949 zu einer Tagung in Hamburg und wählten zu ihrem Sprecher (Vorsitzenden) den Gutsbesitzer Erik von Witzleben aus dem Kreis Wirsitz. Er amtierte bis zum Jahr 1956.
Damit war der Grundstein zur Entstehung der Landsmannschaft Westpreußen gelegt worden. Weitere Schritte in der Entwicklung folgten. Sitz der Landsmannschaft wurde die Hansestadt Lübeck. Eine eigene Zeitung „Der Westpreuße“ wurde herausgegeben. Neben den bereits bestehenden Heimatkreisgemeinschaften wurden in den einzelnen Bundesländern dann Landesgruppen als regionale Untergliederungen der Bundeslandsmannschaft gebildet. Zentrale Bundestreffen für die heimatlos gewordenen Westpreußen wurden organisiert, erstmals 1951 in Hamburg, dann folgend 1952 in Lübeck und 1953 in Hannover. Ab 1954 (in Bochum) wurden diese großen Heimattreffen dann im Zwei-Jahres-Rhythmus fortgesetzt.
Kulturarbeit und Entwicklung bis 2020
Einen herausgehobenen Schwerpunkt in der landsmannschaftlichen Aufgabenwahrnehmung stellte von Anfang an die Kulturarbeit zur Wahrung und Vermittlung von Geschichte und Kultur des Landes am Unterlauf der Weichsel dar. Mit zentralen Veranstaltungen wie Bundeskulturtagungen, Kulturseminaren und Kulturkongressen wurde diese wesentliche Aufgabe umgesetzt. Sie gilt auch weiterhin als stete Verpflichtung. Gleichen Zielen dient die 1975 von der Landsmannschaft gegründete Kulturstiftung Westpreußen. Sie ist Trägerin des im selben Jahr errichteten Westpreußischen Landesmuseums im Drostenhof zu Münster-Wolbeck, das dann ab 2015 seinen neuen Standort im ehemaligen Franziskaner-Kloster zu Warendorf gefunden hat. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hatte bereits im Jahre 1962 die Patenschaft über die Landsmannschaft Westpreußen übernommen und fördert seither, neben weiteren öffentlichen Förderern, die Museumsarbeit auch finanziell. Im Zuge der übernommenen Patenschaft verlegte die Landsmannschaft im Jahre 1963 ihren Sitz von Lübeck nach Münster/Westfalen.
Die Landsmannschaft Westpreußen kann mittlerweile auf viele Jahrzehnte anerkannten und erfolgreichen Wirkens zurückblicken. Im Jahre 2019 beging sie ihr 70jähriges Bestehen. Die Zeiten haben sich jedoch im Verlauf dieser 70 Jahre, selbstredend, gewandelt. Neue Wege gilt es zu beschreiten, neue Ziele zu bestimmen, um die landsmannschaftliche Arbeit auch in Zukunft erfolgreich fortsetzen zu können. Darüber ist in den landsmannschaftlichen Gremien intensiv diskutiert und das Ergebnis abschließend in einer Neufassung der Satzung manifestiert worden. Leitendes Ziel wird es zukünftig sein, sich zu öffnen hin in eine weitgefasste Öffentlichkeit innerhalb unserer Gesellschaft. Es wird in Zukunft mehr denn je darauf ankommen, über die Nachkommen westpreußischer Vorfahren hinaus jene Geschichts- und Kulturinteressierten im Lande zu erreichen, die zwar keinen familiären Bezug zum Land am Unterlauf der Weichsel haben, aber aufgeschlossen sind für die Thematik „Westpreußen – Begegnungen mit einer europäischen Kulturregion“. Diese zukunftsweisenden Perspektiven finden ihren Ausdruck schließlich auch in der beschlossenen Namenserweiterung der Landsmannschaft. Der neue Name „Westpreußische Gesellschaft – Landsmannschaft Westpreußen“ soll die neue Offenheit und zugleich den Aufbruch in die Zukunft eines von guter Nachbarschaft geprägten friedvollen Europas signalisieren.