Anfang April ist über­ra­schen­der Wei­se ein Foto auf­ge­taucht, das erst­mals den Besuch von Max Rei­mann in Elb­ing doku­men­tiert. Die­se Quel­le ist für die his­to­ri­schen Zusam­men­hän­ge der­art bedeu­tungs­voll, dass der Bei­trag aus der Januar-​Nummer von DW eine Fort­set­zung erfährt ;  denn zum einen sind die Aus­sa­gen von Mirosław Dymc­zak, auf denen der vor­he­ri­ge Arti­kel basier­te, jetzt an einem ent­schei­den­den Punkt zu kor­ri­gie­ren. Zum ande­ren – und vor allem – erlau­ben im Kon­text des Fotos gewon­ne­ne zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen, die Kennt­nis­se von den dama­li­gen Vor­gän­gen erheb­lich zu vertiefen.

Ver­öf­fent­licht wur­de die Auf­nah­me von Tomasz Misi­uk, dem Sohn des bekann­ten und ver­dien­ten Elb­in­ger Foto­gra­fen und Doku­men­ta­lis­ten Czesław Misi­uk (1937–2001). Die­ser war 21 Jah­re lang fest­an­ge­stell­ter Foto­graf der Mechanik-​Werkstätten Zamech (der frü­he­ren Schichau-​Werke) und doku­men­tier­te gleich­zei­tig als Bild­be­richt­erstat­ter die Ent­wick­lung der Stadt und ihrer Künst­ler­krei­se. Neben der Ent­de­ckung die­ses Fotos gelang es dem Autor der vor­lie­gen­den Zei­len, einen zwei­ten Augen­zeu­gen jenes Besu­ches aus­fin­dig zu machen :  den Elb­in­ger Bolesław Sma­gała, einen lang­jäh­ri­gen Zamech-Ange­stell­ten und ört­li­chen Funk­tio­när der Pol­ni­schen Ver­ei­nig­ten Arbei­ter­par­tei (PVAP bzw., in der pol­ni­schen Abkür­zung, PZPR). Sma­gała ver­moch­te nicht nur eini­ge Per­so­nen auf dem Foto zu iden­ti­fi­zie­ren, son­dern hat auch den Zeit­punkt der Auf­nah­me – und mit­hin den­je­ni­gen von Max Rei­manns Elbing-​Besuch – neu bestimmt :  Schon 1964 weil­te der deut­sche kom­mu­nis­ti­sche Poli­ti­ker zum ers­ten und letz­ten Male seit 1938 in sei­ner Hei­mat­stadt, und zwar wäh­rend des 4. PVAP-​Kongresses, der vom 15. bis 20. Juni 1964 in War­schau statt­fand, nicht aber, wie bis­lang von Mirosław Dymc­zak erin­nert, erst anläss­lich des 5. War­schau­er PVAP-​Kongresses im Novem­ber 1968.

Auch bei die­sem Kon­gress sah das Pro­gramm einen frei­en Tag vor, damit, wie Bolesław Sma­gała erläu­tert, „die Genos­sen Arbeits­be­trie­be besu­chen und mit der Arbei­ter­klas­se sowie der werk­tä­ti­gen Bevöl­ke­rung in Stadt und Land zusam­men­tref­fen“ konn­ten. Die­sen Tag nutz­te Rei­mann zu sei­nem Besuch in Elb­ing, für des­sen Orga­ni­sa­ti­on, wie wir jetzt wis­sen, Sta­nisław Grzyw­na, der Ers­te Sekre­tär des Stadt- und Kreis­ko­mi­tees der PVAP, zustän­dig war. Er sorg­te u. a. auch dafür, dass das Grab von Rei­manns Eltern auf dem St. Annen-​Friedhof an der Agry­ko­la (ehem. Jahn­str.) eigens her­ge­rich­tet wurde.

Von Rei­manns Besuch bei Zamech ver­mag Bolesław Sma­gała eben­falls wei­te­re wich­ti­ge Details zu berich­ten. Bei sei­nem Zusam­men­tref­fen mit der Betriebs­lei­tung und dem Par­tei­ak­tiv habe der hohe Gast eine regel­rech­te Anspra­che gehal­ten, die immer­hin unge­fähr eine Stun­de in Anspruch nahm. Dar­in habe Rei­mann über sei­ne Zeit in Elb­ing gespro­chen und die Hal­tung und die Ver­hal­tens­wei­sen der Eigen­tü­mer gegen­über den bei den Schichau-​Werken beschäf­tig­ten Arbei­tern kri­ti­siert. Auch zu sei­nen jün­ge­ren poli­ti­schen Erfah­run­gen und Erleb­nis­sen sowie zu aktu­el­len Pro­ble­men der Arbei­ter­be­we­gung habe er sich geäu­ßert und dabei sei­ne Zuhö­rer durch­aus fas­zi­niert, denn er sei als welt­läu­fi­ger, rede­ge­wand­ter Mann auf­ge­tre­ten, der nie­man­den von oben her­ab behan­del­te, frei und mit kräf­ti­ger Stim­me sprach – und auch (was in die­ser Zeit kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich war) kein Blatt vor den Mund genom­men habe. Dass Max Rei­mann, hoch­ge­wach­sen, wie er war, mit sei­ner schwar­zen Klap­pe über dem lin­ken Auge inter­es­sant wirk­te und sich als statt­li­che Erschei­nung sou­ve­rän zu prä­sen­tie­ren ver­stand zeigt letzt­lich auch das Foto, das Czesław Misi­uk unge­fähr am 20. Juni 1964 auf­ge­nom­men hat. Es ist vor dem Eck­ge­bäu­de Trze­cie­go Maja (Johan­nis­str.) 18 /​ Hen­ry­ka Nit­sch­man­na (Nit­sch­mann­stra­ße) ent­stan­den, das aus der Vor­kriegs­zeit stammt und in den Kämp­fen um Elb­ing nur gering­fü­gig – ins­be­son­de­re im Dach-​Bereich – beschä­digt wor­den war. Vor 1945 gab es hier das über die Stadt­gren­zen hin­aus bekann­te Lokal Zum Pil­se­ner bzw. Pils­ner Eck, in dem bes­tes Bier aus­ge­schenkt und vor­züg­li­che Spei­sen gereicht wur­den ;  und bis vor kur­zem war dort noch die Bar Bał­ty­cki beheimatet.

Lech Slo­dow­nik /​ DW
Über­set­zung aus dem Pol­ni­schen :  Hans Gre­gor Njemz (Kiel)