Das „West­preu­ßen­lied“ wur­de 1901 von Paul Fels­ke (1838–1914) ver­fasst, der in Kalt­hof bei Mari­en­burg als Leh­rer arbei­te­te und gele­gent­lich auch Gedich­te schrieb. Im dar­auf­fol­gen­den Jah­re ver­ton­te der eben­falls in Mari­en­burg wir­ken­de Orga­nist und Musik­leh­rer Hugo Hart­mann (1862–1907) das Lied. Dabei lag es aus musi­ka­li­schen Grün­den nahe, aus dem letz­ten Vers­paar einen Refrain zu bil­den; des­halb erschei­nen die bei­den Schluss-​Zeilen im Lied jeweils ver­dop­pelt. Die ein­gän­gi­ge Melo­die stu­dier­te Hart­mann, der an der katho­li­schen Gemein­de­schu­le unter­rich­te­te, sogleich mit sei­nen Schü­lern ein und führ­te die Kom­po­si­ti­on bei Schul­fei­ern auch öffent­lich auf.

Hart­manns Kom­po­si­ti­on konn­te als zwei- oder drei­stim­mi­ges Schul­lied gesun­gen wer­den, fand aber als­bald auch als vier­stim­mi­ger Satz wei­te­re Ver­brei­tung. Noch im Jahr der Ent­ste­hung (1902) über­nahm der Mari­en­bur­ger Män­ner­ge­sangs­ver­ein die Kom­po­si­ti­on und trug sie bei grö­ße­ren Ver­an­stal­tun­gen vor. 1903 erschien das Lied bei Paul Ass­mus in Mari­en­burg auch im Druck und erklang bei einem gemein­schaft­li­chen Auf­tritt des Mari­en­bur­ger und des Elb­in­ger Män­ner­ge­sangs­ver­eins, wodurch sein Wir­kungs­be­reich erheb­lich ver­grö­ßert wur­de. Neben der regio­na­len Bedeu­tung in die­sen bei­den Städ­ten wur­de die all­ge­mei­ne Popu­la­ri­tät des Lie­des noch dadurch wesent­lich gestei­gert, dass das „West­preu­ßen­lied“ 1907 im Lie­der­buch des „Deut­schen Ost­mar­ken­ver­eins“ Auf­nah­me fand.

Zu den poli­ti­schen Zie­len die­ser Ver­ei­ni­gung hat­te der Text­dich­ter anschei­nend eine hohe Affi­ni­tät. Zum einen steht die Kon­zep­ti­on eines „West­preu­ßen­lie­des“ im engen Zusam­men­hang mit der all­ge­mei­ne­ren – aus Vor­stel­lun­gen des „Deut­schen Ost­mar­ken­ver­eins“ gespeis­ten – Idee, dass es für die För­de­rung des Deutsch­tums hilf­reich sei, wenn jede der ost­deut­schen Pro­vin­zen über eine eige­ne „Hei­mat­hym­ne“ ver­füg­te. Zum ande­ren nutz­te der Autor das Arran­ge­ment sei­ner Lyrik-​Sammlung „Herz und Gemüt“ dazu, das „West­preu­ßen­lied“ die­sem ideo­lo­gi­schen Kon­text zuzu­ord­nen. In dem Büch­lein, das zwar ohne Jah­res­an­ga­be erschie­nen ist, aber ver­mut­lich im Umkreis von Fels­kes 70. Geburts­tag (1908) gedruckt wor­den sein dürf­te, stellt er direkt vor das „West­preu­ßen­lied“ zwei dem 30. Jah­res­tag der Reichs­grün­dung gewid­me­te Gedich­te „Zum 18. Janu­ar 1901“ und lässt unmit­tel­bar auf sei­ne Hei­mat­hym­ne den Appell „Schützt die deut­sche Ost­mark“ fol­gen. Vor dem Hin­ter­grund die­ses fünf­stro­phi­gen Gedichts gewinnt die deutsch­na­tio­na­le Ten­denz, die die zwei­te Stro­phe des „West­preu­ßen­lie­des“ zu erken­nen gibt, noch deut­lich schär­fe­re Konturen.

Die Beliebt­heit, die das „West­preu­ßen­lied“ in Mari­en­burg und Elb­ing sowie auch im Umland der bei­den Städ­te genoss, strahl­te zwar auch auf wei­te­re Orte im Regie­rungs­be­zirk Mari­en­wer­der aus; als öffentlich-​repräsentative Hym­ne der Pro­vinz galt das Lied aber kei­nes­wegs. Selbst im Chor-​Repertoire setz­te es sich nicht all­ge­mein durch. Im glei­chen Jahr wie Paul Fels­ke dich­te­te Max Hil­de­brand 1901 in Dan­zig sei­nen „Gruß an Preu­ßen­land“ („Dich, alte Ost­mark, grüß ich wie­der“). Eben­falls im nach­fol­gen­den Jah­re (1902) wur­de die­ses Gedicht – von einem Karl Leh­mann – ver­tont, im vier­stim­mi­gen Satz von Män­ner­chö­ren vor­ge­tra­gen und dies­mal sogar ohne Ver­zö­ge­rung ins Lie­der­buch des „Deut­schen Ost­mar­ken­ver­eins“ auf­ge­nom­men. Dau­er­haft fand es seit­dem im gesam­ten Gebiet von Dan­zig gro­ßen Anklang. 

Sei­nen Rang als Regio­nal­hym­ne mach­te dem „Gruß an Preu­ßen­land“ dort allen­falls das von Johan­nes Tro­jan ver­fass­te Gedicht „West­preu­ßen, lie­bes Hei­mat­land“ strei­tig, das eben­so wie die ande­ren bei­den Tex­te Anfang des 20. Jahr­hun­derts ent­stan­den war, aber erst 1912 ver­öf­fent­licht, dann aber sogleich (von Juli­an Pien­ski) ver­tont und in Konitz ver­legt wur­de. Der hier schon nahe­lie­gen­de Ein­druck eines regel­rech­ten Lie­der­wett­be­werbs ver­stärkt sich nach­drück­lich, wenn, um nur weni­ge wei­te­re Bei­spie­le zu nen­nen, auch noch die – frei­lich nur lokal ver­brei­te­ten – „West­preu­ßen­lie­der“ von Her­mann Schmö­kel, Paul Beh­rend oder Bru­no Pompe­cki Berück­sich­ti­gung finden.

Die Viel­falt der Ange­bo­te und der lokal unter­schied­li­chen Vor­lie­ben tra­ten nach dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges aller­dings zurück. Ange­sichts des in Ver­sailles beschlos­se­nen Unter­gangs der Pro­vinz West­preu­ßen wuchs das Bedürf­nis nach einem kol­lek­ti­ven Sym­bol für das Land, des­sen ver­lo­re­ne Inte­gri­tät nun beklagt und des­sen unge­schmä­ler­te Wie­der­her­stel­lung gefor­dert wer­den soll­te. Dar­über hin­aus wur­de der Wunsch, über ein leicht sing­ba­res, volks­tüm­lich anmu­ten­des Lied zu ver­fü­gen, das grö­ße­ren Grup­pen von Men­schen Gemein­schafts­emp­fin­den zu ver­mit­teln und sie in eine patrio­ti­sche Stim­mung zu ver­set­zen ver­mag, durch den „Abstim­mungs­kampf“ des Jah­res 1920 erheb­lich ver­stärkt. In die­ser Situa­ti­on bot sich anschei­nend das – gera­de im Abstim­mungs­ge­biet sowie­so schon weit ver­brei­te­te – „West­preu­ßen­lied“ in beson­de­rem Maße an. Nun erst gewann es eine hohe All­ge­mein­ver­bind­lich­keit: Dem ursprüng­li­chen Bemü­hen von Paul Fels­ke und Hugo Hart­mann, ihrer Hei­mat­pro­vinz eine eige­ne Hym­ne zu schen­ken, war unter den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen nun tat­säch­lich ein über­ra­gen­der Erfolg beschie­den. Vor die­sem Hin­ter­grund wird letzt­lich auch ver­steh­bar, war­um die Stadt Mari­en­burg nach dem über­wäl­ti­gen­den Sieg in der Volks­ab­stim­mung dem „West­preu­ßen­lied“ im Stadt­park ein aus zwei Find­lin­gen bestehen­des Denk­mal set­zen ließ. Die mit Blatt­gold auf­ge­tra­ge­ne Inschrift zeig­te die Namen und Lebens­da­ten der bei­den Schöp­fer sowie das Text- und Noten-​Incipit des Liedes.

Auf einer ande­ren Ebe­ne ergab sich gut 25 Jah­re spä­ter eine durch­aus ver­gleich­ba­re Kon­stel­la­ti­on: Als die Flücht­lin­ge und Ver­trie­be­nen aus dem unte­ren Weich­sel­land in der Nach­kriegs­zeit zu einer eige­nen Orga­ni­sa­ti­on zusam­men­fan­den, war es für sie gera­de­zu selbst­ver­ständ­lich, dem „West­preu­ßen­lied“ in ihrer lands­mann­schaft­li­chen Arbeit eine her­aus­ra­gen­de Rol­le zu über­tra­gen. Nun erschien es sogar in noch höhe­rem Maße bedeu­tungs­ge­sät­tigt, weil es – wie die Schmuck­kar­te des „West­preu­ßen­lie­des“ mit den Abbil­dun­gen der wich­tigs­ten Erin­ne­rungs­stät­ten anschau­lich zeigt – die ver­lo­re­ne Hei­mat ins­ge­samt reprä­sen­tier­te und zugleich im gemein­sa­men Chor­ge­sang weit­rei­chen­de Mög­lich­kei­ten eröff­ne­te, sich im Bewusst­sein des fun­da­men­ta­len schmerz­vol­len Ver­lusts den eige­nen Gefüh­len hin­zu­ge­ben und ihnen inten­si­ven Aus­druck zu ver­lei­hen: So gab es über vie­le Jahr­zehn­te wohl kei­ne lands­mann­schaft­li­che Ver­an­stal­tung, die nicht im kol­lek­ti­ven Anstim­men des „West­preu­ßen­lie­des“ ihren wür­di­gen Abschluss gefun­den hätte. 


Die Entstehungs- und frü­he Wir­kungs­ge­schich­te des „West­preu­ßen­lie­des“ sowie das Umfeld der west­preu­ßi­schen Hei­mat­hym­nen sind von Ger­trud Baro­nin von Brock­dorff in ihrer Dis­ser­ta­ti­on erschlos­sen wor­den, die 1919 von der Uni­ver­si­tät zu Kiel ange­nom­men wor­den ist. Sie wur­de im sel­ben Jah­re unter dem Mäd­chen­na­men der Autorin gedruckt: Ger­trud Stend­al: „Die Hei­mat­hym­nen der preu­ßi­schen Pro­vin­zen und ihrer Land­schaf­ten. Eine lite­ra­ri­sche Cha­ra­ke­ris­tik“, Hei­del­berg: Carl Win­teres, 1919 (Lite­ra­tur und Thea­ter. Bd.3). Obwohl die kur­sie­ren­den Dar­stel­lun­gen der genann­ten Zusam­men­hän­ge aller­meist bis in ein­zel­ne For­mu­lie­run­gen hin­ein auf die­ser Publi­ka­ti­on beru­hen, wird die eigent­li­che Quel­le in der Regel nicht angegeben.