Die erfolgreiche Pariser Klimakonferenz im vergangenen Jahr hatte ihren frühesten Vorläufer im Jahre 1913: In Bern wurde damals zum ersten Mal über »Weltnaturschutz« diskutiert. Der Danziger Hugo Conwentz vertrat dort das Deutsche Reich.

Von Alex­an­der Kleinschrodt

Auf dem Gebiet der Paläo­botanik, der Beschrei­bung fos­si­ler Pflan­zen aus ­frü­he­ren Erd­zeit­al­tern, leis­te­te er Grund­le­gen­des. Bekannt wur­de Hugo Con­w­entz jedoch als der Begrün­der ­einer staat­li­chen Natur­schutz­po­li­tik in Preu­ßen. In sei­nem Andenken ver­leiht der Bun­des­ver­band Beruf­li­cher Natur­schutz seit 1986 die Hugo-​​Conwentz-​​Medaille. Die Hei­mat die­ses Pio­niers war West­preu­ßen: 1855 in der Nähe von Dan­zig gebo­ren, wuchs er in der Stadt auf und ver­brach­te dort den Groß­teil sei­nes Lebens.

Con­w­entz mach­te schnell Kar­rie­re. Sein Abitur­zeug­nis ver­merkt her­aus­ra­gen­de Leis­tun­gen im Fach Natur­ge­schich­te, die Anlass zu »schö­nen Hoff­nun­gen für sei­ne fer­ne­re Tätig­keit auf die­sem Gebiet« gäben. Nach dem Stu­di­um in Bres­lau und Göt­tin­gen woll­te er sich eigent­lich auf eine Uni­ver­si­täts­lauf­bahn kon­zen­trie­ren. Sie blieb ihm zwar ver­wehrt, da er kein huma­nis­ti­sches Gym­na­si­um besucht hat­te. Indes eröff­ne­te sich 1879 eine nicht weni­ger attrak­ti­ve Chan­ce: Im Alter von noch nicht 25 Jah­ren erhielt er die Stel­le als Direk­tor des neu­ge­grün­de­ten West­preu­ßi­schen Provinzial-​​­Museums. Das Haus wur­de ange­sie­delt im Grü­nen Tor am Rand der Dan­zi­ger Recht­stadt, wo Con­w­entz die Samm­lung auf­bau­te und an regio­na­len The­men forsch­te, zum Bei­spiel zur Ver­brei­tung der Eibe in Westpreußen.

Etwa um 1900 muss ihm bewusst gewor­den sein, dass die Natur, die er erforsch­te, bedroht sein könn­te von den zwie­späl­ti­gen Fort­schrit­ten gesell­schaft­li­cher Moder­ni­sie­rung: Die Fra­ge, wie ein plan­mä­ßi­ger Natur­schutz aus­se­hen könn­te, rück­te in den Vor­der­grund. 1904 ver­öf­fent­lich­te Con­w­entz eine »Denk­schrift«, auf deren Grund­la­ge schon zwei Jah­re spä­ter in Dan­zig eine »Staat­liche Stel­le für Natur­denk­mal­pfle­ge« ein­ge­rich­tet wur­de – mit Con­w­entz als ihrem Lei­ter. 1910 sie­del­te die Behör­de nach Ber­lin über, wo Con­w­entz bis zu sei­nem Tode im Jah­re 1922 wirkte.

Eine ande­re Sicht auf Hugo Con­w­entz ergibt sich, wenn man sei­ne Arbeit stär­ker vor einem inter­na­tio­na­len Hin­ter­grund betrach­tet. Die Jahr­zehn­te vor dem ers­ten Welt­krieg, in die sei­ne Lauf­bahn größ­ten­teils fällt, wer­den oft als das »Zeit­alter der Natio­nal­staa­ten« bezeich­net. Par­al­lel dazu wird heu­te aber mehr und mehr erkannt, dass die­se Peri­ode auch eine Früh­pha­se der Glo­ba­li­sie­rung war: Mit der Tele­gra­phie konn­ten Nach­rich­ten mitt­ler­wei­le schnell um den Glo­bus trans­fe­riert wer­den, auch Län­der wie Japan öff­ne­ten sich für Han­del und Aus­tausch. Fast unver­meid­lich, dass die inter­na­tio­na­le Poli­tik dadurch einen ande­ren Stel­len­wert erhielt und ers­te Umris­se eines Welt­staa­ten­sys­tems ent­stan­den. Auch der Natur­schutz blieb davon nicht unbe­rührt: Vom 17. bis zum 19. Novem­ber 1913 fand in Bern eine ers­te inter­na­tio­na­le Natur­schutz­kon­fe­renz statt. Es ver­sam­mel­ten sich Ver­tre­ter der euro­päi­schen Groß­mäch­te – die USA, Argen­ti­ni­en und eini­ge wei­te­re Län­der saßen eben­so am Ver­hand­lungs­tisch. Mit dabei war, als Mit­glied der deut­schen Dele­ga­ti­on, auch Hugo Conwentz.

Für ihn selbst muss der Wech­sel auf die inter­na­tio­na­le Ebe­ne eine merk­wür­di­ge Erfah­rung gewe­sen sein. Joa­chim Rad­kau, in Deutsch­land der ein­fluss­reichs­te Ver­tre­ter des For­schungs­ge­bie­tes Umwelt­ge­schich­te, betont, dass Con­w­entz zuhau­se nur »ein Winz­ling inner­halb der preu­ßi­schen Büro­kra­tie« gewe­sen sei, im inter­na­tio­na­len Natur­schutz dage­gen galt er als »ein gro­ßer Mann«. Zen­tra­le Figur der Zusam­men­kunft in Bern war aller­dings der Base­ler Natur­for­scher Paul Sara­sin. Drei Jah­re zuvor hat­te er bei einem Kon­gress in Graz erst­mals die Idee eines »Welt­na­tur­schut­zes« ins Spiel gebracht, zeit­gleich arbei­te­te er an der Eta­blie­rung eines Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­parks nach dem Vor­bild der bereits im 19. Jahr­hun­dert ein­ge­rich­te­ten Reser­va­te in den Ver­ei­nig­ten Staaten.

Con­w­entz sprach am zwei­ten Ver­hand­lungs­tag. Anders als Sara­sin, dem eine aus­ge­präg­te rhe­to­ri­sche Befä­hi­gung nach­ge­sagt wird, refe­rier­te er in nüch­ter­nem Stil. Con­w­entz ver­säum­te jedoch nicht, sei­ner­seits das über Preu­ßen weit hin­aus­rei­chen­de Renom­mee sei­ner »Zen­tral­stel­le für Natur­denk­mal­pfle­ge« zu beto­nen: »Die Staat­li­che Stel­le erfreut sich eines zahl­rei­chen Besu­ches von Fach­män­nern und Ver­wal­tungs­leu­ten aus dem In- und Aus­land. Nament­lich aus Öster­reich, Ungarn, Ruß­land, Nor­we­gen, Hol­land, Japan usw. erschie­nen wie­der­holt For­scher.« Eher pedan­tisch beschrieb er aber zunächst die Tätig­keit sei­ner Ein­rich­tung, ein­schließ­lich ihrer Publi­ka­tio­nen und der Aus­stat­tung ihrer Biblio­thek (»in 18 Schrän­ken die topo­gra­phi­schen, geo­lo­gi­schen und Forst­kar­ten des Staatsgebiets«).

Schon hier wird aber die Reich­wei­te von Con­w­entz‘ Arbeit deut­lich. Er hat­te »eine inter­na­tio­na­le Biblio­gra­phie für Natur­denk­mal­pfle­ge und Natur­schutz« anle­gen las­sen, die damals bereits »mehr als 3.000 Num­mern« umfass­te. Erkenn­bar war er dar­um bemüht, sich einen Über­blick über die Fort­schrit­te in ande­ren Län­dern zu ver­schaf­fen. Was für heu­ti­ge Natur­wis­sen­schaft­ler selbst­ver­ständ­lich ist, war ange­sichts dama­li­ger Mög­lich­kei­ten ein auf­wen­di­ges Vor­ha­ben. Sol­che Recher­chen bil­de­ten die Grund­lage von Con­w­entz‘ umfas­sen­der Ken­ner­schaft. In Cam­bridge war 1909 ein eng­lisch­spra­chi­ges Buch von ihm erschie­nen, in dem er auf über 100 Sei­ten die Fort­schrit­te des Natur­schut­zes in den ver­schie­dens­ten Staa­ten erläuterte.

Trotz­dem blieb Con­w­entz‘ Dar­stel­lung auf der Ber­ner Kon­ferenz in wei­ten Tei­len eine Leis­tungs­schau des preu­ßi­schen Natur­schut­zes. Aus sei­ner Sicht gab es aber »doch eine Rei­he von Fra­gen, die nicht von einer Nati­on allein erör­tert und gelöst wer­den kön­nen«: Gemein­sa­me Schutz­be­mü­hun­gen müss­ten unter­nom­men wer­den für »sol­che Gebie­te, wel­che nicht im Besitz einer Nati­on sind«, womit nicht zuletzt die Mee­re gemeint waren. Eini­ge Berei­che der Ant­ark­tis woll­te er wegen ihrer Tier­welt sogar als »unantast­bar« ein­ge­stuft sehen. Sinn­voll erschien ihm auch die Ver­an­ke­rung des Natur­schut­zes im Kriegs­recht, um die man sich bereits 1899 auf der Frie­dens­kon­fe­renz in Den Haag bemüht hat­te. Wei­ter vor wag­te er sich jedoch nicht: Abge­se­hen von die­sen Fra­gen war für ihn klar, dass Natur­schutz »eine natio­na­le Auf­ga­be ist, und blei­ben soll«.

Am Ende der Kon­fe­renz stand zwar die Eta­blie­rung einer inter­na­tio­na­len Kom­mis­si­on unter dem Vor­sitz von Paul Sara­sin, die jedoch nur mit gering­fü­gi­gen Kom­pe­ten­zen aus­ge­stat­tet wur­de. Eine wei­te­re Auf­wer­tung der inter­na­tio­na­len Ebe­ne des Natur­schut­zes, so sieht es der Schwei­zer His­to­ri­ker Patrick Kup­per, wur­de damals ins­be­son­de­re von deut­scher Sei­te unter­bun­den: »Die natio­na­le (und kolo­nia­le) Sou­ve­rä­ni­tät«, meint Kup­per, »soll­te unan­ge­tas­tet blei­ben.« Die­se Deu­tung liegt ange­sichts des poli­ti­schen Hin­ter­grun­des der Zeit nahe. Doch wel­che Argu­men­te hat­te Con­w­entz selbst in sei­ner Rede angeführt?

Von einer zen­tra­len Stel­le den welt­wei­ten Natur­schutz zu koor­di­nie­ren, erschien Con­w­entz »unprak­tisch«, nur die Staa­ten selbst könn­ten ihre »Natur­denk­mä­ler aus­fin­dig machen und schüt­zen«. Ange­sichts der »Ver­schie­den­heit der Par­la­men­te« und der jewei­li­gen Rechts­la­ge wer­de die klei­ne­re Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit effi­zi­en­ter im Rea­li­sie­ren der Schutz­maß­nah­men sein. Vor allem aber schien er einer inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on nicht zuzu­trau­en, im Umfeld von Natur­denk­mä­lern »den Ein­zel­nen wie die Gemein­de dafür zu inter­es­sie­ren«. In sei­ner Rede hat­te Con­w­entz zuvor aus­führ­lich ein Netz­werk aus Komi­tees ehren­amt­li­cher Natur­schüt­zer beschrie­ben, die jeweils für über­schau­ba­re Teil­ge­bie­te Preu­ßens zustän­dig waren und sei­ner Zen­tral­stel­le zuar­bei­te­ten. Erst mit ihrer Hil­fe war über­haupt ein Über­blick über mög­li­cher­wei­se schüt­zens­wer­te Natur­gü­ter ent­stan­den. Land­schafts­pfle­ger, die die Umset­zung von Schutz­maß­nah­men über­wach­ten, wur­den eben­falls dort rekru­tiert. Offen­sicht­lich war ihm sehr bewusst, dass sein Pro­jekt des Natur­schut­zes nur von oben nicht funk­tio­nier­te. Die Unmög­lich­keit von Ein­grif­fen in die Sou­ve­rä­ni­tät selb­stän­di­ger Staa­ten führ­te Con­w­entz dem­ge­gen­über erst ganz zuletzt und eher pflicht­schul­dig an.

Eine wich­ti­ge Ein­schät­zung lie­fert in die­sem Zusam­men­hang der His­to­ri­ker Frank Ueköt­ter. Für ihn ist eine star­ke emo­tio­na­le Bin­dung an Regio­nen und Land­schaf­ten typisch für die frü­hen Natur­schüt­zer – und sie zog offen­bar Kräf­te ab von der Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der Nati­on. Ueköt­ter spricht hier des­halb von einem »Natio­na­lis­mus mit eher küh­lem Kopf«. Con­w­entz war bis zu sei­nem Tod preu­ßi­scher Beam­ter geblie­ben, gera­de mit West­preu­ßen hat­te er sich als Muse­ums­lei­ter inten­siv beschäf­tigt. Sein Nach­fol­ger in die­sem Amt über­lie­fert, dass Con­w­entz wäh­rend sei­ner Arbeit für das Provinzial-​​Museum nicht weni­ger als 477 Dienst­rei­sen inner­halb der Pro­vinz unter­nom­men haben soll. Mein­te er also viel­leicht vor allem die Regio­nen, wenn er von der »Nati­on« sprach?

Bei der Inter­na­tio­na­li­tät, die Con­w­entz anstreb­te, ging es um »gegen­sei­ti­ge Aus­spra­che und Anre­gung«, wie er es in Bern aus­drück­te. Dies stimmt recht genau mit dem Modell über­ein, das er selbst prak­ti­zier­te. Kurz dar­auf war aber auch das nicht mehr mög­lich, obwohl die ers­te inter­na­tio­na­le Ver­stän­di­gung durch­aus als Erfolg betrach­tet wur­de, wie Patrick Kup­per zusam­men­fasst: »Die Ein­la­dun­gen für eine Fol­ge­kon­fe­renz waren denn auch bereits ver­schickt, als der Kriegs­aus­bruch 1914 die Wei­ter­füh­rung der Arbei­ten stopp­te. Der Krieg warf den inter­na­tio­na­len Natur­schutz um Jahr­zehn­te zurück.«