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Westpreußen-Kalender 2021

Titelblatt: Die Altstadt von Mewe: Von der Pfarrkirche St. Nikolaus im Vordergrund reicht der Blick über den Marktplatz und die mächtige Deutschordensburg bis zur Weichsel. (Foto: worldisbeautiful.eu)
Bildauswahl: Ursula Enke
Texte: Erik Fischer
Übersetzung ins Polnische: Joanna Szkolnicka
Grafik: Mediengestaltung Kohlhaas, Bonn
Herausgeberin: Westpreußische Gesellschaft
Mühlendamm 1 • 48167 Münster-Wolbeck

DER WESTPREUSSEN-KALENDER 2021
Danzig und das Land an der unteren Weichsel – mit den UNESCO-Welterbestätten Marienburg und Thorn – bilden höchst beliebte Reiseziele. Besucher stoßen dann rasch darauf, dass diese Landschaft auch mit der deutschen Geschichte verbunden ist, bis 1920 »Westpreußen« hieß und für Deutsche wie Polen einen wichtigen Erinnerungsort bildet : Hier befand sich beispielsweise das Kerngebiet des Territoriums, das im Mittelalter vom Deutschen Orden beherrscht wurde, und gerade hier musste das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg einschneidende territoriale Veränderungen hinnehmen.
In der Gegenwart ist »Westpreußen« vor allem eine Erinnerungslandschaft für Menschen, die aus dieser Region stammen und für deren Familien dieses Land oft jahrhundertelang Heimat war ; und zugleich ist es eine historische Kategorie, die den heutigen Bewohnern bei ihrer Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe und der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte einen wichtigen Orientierungsraum eröffnet.

Am Ufer der Putziger Wiek
Der Winter hat Einzug gehalten, und in frostiger Kälte verharrt die Natur. Jüngst noch wiegten sich die filigranen Schilfhalme sacht in einer schwachen Brise, nun wirken auch sie erstarrt, und allein die Spuren im Schnee zeugen von lebendigem Treiben. Die Sonne schickt verheißungsvoll ihr morgendliches Licht, tönt die zarten Wolkenschleier in ein changierendes Farbspiel, das sich dort, wo die Wasseroberfläche nicht gänzlich vom Eis versiegelt ist, widerspiegelt.
Diese Aufnahme erinnert daran, dass in der früheren Provinz Westpreußen stets lange und strenge Winter herrschten. Selbst wenn inzwischen auch in dieser Region die Temperaturen steigen, bietet die Putziger Wiek weiterhin gute Chancen, die Atmosphäre solch eines Winters einzufangen : Sie begünstig die Bildung einer kompakten Eisdecke, denn sie ist bei einer Tiefe von nur zwei bis sechs Metern sehr seicht und zudem durch die seit wenigen Jahrhunderten durchgängig geschlossene Küstenlinie von Hela sowie durch das „Reff“, eine schmale, oftmals überflutete Sandbank, gegenüber der Ostsee im Norden bzw. von der übrigen Danziger Bucht nach Osten hin abgeschirmt.
Ein beliebter Aussichtspunkt an der Straße nach Großendorf eröffnet die Möglichkeit, die Bildkomposition geschickt abzurunden, weil sich von hier aus nicht nur die harmonisch geschwungene Uferlinie, sondern in der Ferne sogar die pittoreske – den Hafen von Putzig dominierende – ordenszeitliche Pfarrkirche St. Peter und Paul dem Blick darbieten.

Wahrzeichen der Danziger Rechtstadt
Die spätgotische Hallenkirche Sankt Marien entstand nach der Grundsteinlegung im Jahre 1343 in drei Bauphasen bis 1502. Seitdem bestimmt ihr imposantes Erscheinungsbild mit dem mächtigen West-Turm, den schlanken Ecktürmen und dem Dachreiter die Silhouette der Stadt. Es gibt auf der Welt wohl nur wenige Orte, an denen sich die Vorstellung von einer Kirche als Schiff auf einem Häusermeer derart intuitiv nachvollziehen lässt wie in Danzig.
Neben diesem spätmittelalterlichen Bauwerk zeugt der Turm des Rechtstädtischen Rathauses von der zweiten prägenden Epoche der Stadtentwicklung, die vom ausgehenden 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts reicht und in der die Patrizier ihr frühneuzeitliches Bedürfnis befriedigten, den Überfluss an Reichtum und Macht nach außen hin sichtbar werden zu lassen. Als der schlanke Turm 1561 seinen von Dirk Daniels entworfenen Helm erhielt, diente bereits die damalige fortschrittliche Architektur der Niederlande als Vorbild. Deshalb wurde in der Konzeption auch eine eigene Etage für ein Turmglockenspiel vorgesehen.
Diese beiden Wahrzeichen der Rechtstadt repräsentieren Danzigs Goldenes Zeitalter. Wenn sie an einem strahlenden und winterlichen Februar-Tage so geschickt aufgenommen werden, dass sie die beiden Brennpunkte eines Fotos bilden und die Hochhäuser und Schlote im Hintergrund kaum sichtbar sind, kann der Eindruck entstehen, dass die Zeit zurückgedreht sei. Vielleicht meint man auch, entfernt den Klang des Carillons zu hören ?

Die Marienburg und die Stadt Marienburg
Die Drohnen-Fotografie eröffnet spannende Möglichkeiten, längst Bekanntes auf andere Art wahrzunehmen. Während die Marienburg allermeist vom westlichen Nogat-Ufer aus aufgenommen wird, geht der Blick nun dem Fluss entgegen, der aus südöstlicher Richtung auf die Stadt zufließt. Der frühere Hochmeistersitz wird dabei aus einer erhöhten Seitenperspektive abgebildet : Auch jetzt tritt das – üblicherweise akzentuierte – Wehrhaft-Trutzige des Bauwerks hervor, zudem aber werden wie an einem dreidimensionalen Modell auch die Raumproportionen sowie die ausdifferenzierten architektonischen Gliederungen dieses repräsentativen Herrschaftszentrums sichtbar.
Die Geneigtaufnahme zeigt allerdings nicht nur das Vertraute in einer ungewohnten Weise, sondern gibt auch den Blick auf das Umfeld der monumentalen Burganlage frei, das sonst in aller Regel ausgeblendet bleibt. Die Stadt rückt mit einigen ihrer Sehenswürdigkeiten ebenfalls in den Fokus : Hinter dem Dansker steht – bereits jenseits der Wehrmauer – die St. Johannes-Kirche, und links von deren Turm ist der Giebel des historischen Rathauses erkennbar, in gerader Linie gefolgt vom Marientor und dem 1905 errichteten Wasserturm.
Nicht zuletzt lässt das Foto freilich auch den Kontrast zwischen diesen wenigen Relikten und den Neubauten zu Bewusstsein kommen, die sich weder an historischen Grundrissen noch an charakteristischen Architekturelementen des alten Marienburg orientiert haben.

Rolandbrunnen in Riesenburg
Beim Blick auf die reich verzierte Brunnenschale und den im Hintergrund auftauchenden Turm einer ordenszeitlichen Kirche werden sich alle, die jemals Riesenburg besucht haben, sofort an den Aufnahmeort, den Marktplatz der Stadt, versetzt fühlen.
Die ehrwürdige, bis 1945 evangelische Pfarrkirche, die inzwischen unter dem Patrozinium des Hl. Adalbert steht, stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert und prägt die gesamte Silhouette der ehemaligen Bischofsstadt. Aber auch der Brunnen darf als gleichgewichtiges Erkennungszeichen Riesenburgs gelten. In der Mitte eines großen Beckens erhebt sich ein Podest, auf dem fünf Löwen die – hier zum Teil sichtbare – große Brunnenschale tragen. In zwei Stufen folgen noch jeweils kleinere Schalen, bevor eine Roland-Plastik die zentrale Achse krönt. Auffällig und mächtig wirkt das Ganze zudem durch die komplexen figurativen und ornamentalen Gestaltungselemente des neoromanischen Stils.
Die naheliegende Frage, ob Stadtväter einer kleineren ostdeutschen Stadt wohl tatsächlich solch ein Bauwerk in Auftrag gegeben haben, erweist sich als durchaus begründet : Der Brunnen wurde 1896 von Franz Schwechten geschaffen und 1900 vor dem Romanischen Haus in Berlin aufgestellt. Erst als er dort 1928 der Modernisierung des Verkehrsraums weichen musste, kaufte ihn die Stadt Riesenburg – und ließ seitdem den wehrhaften Ritter mit bloßem Schwert über ihre Rechte und ihre Freiheit wachen.

Stendsitz, Kr. Karthaus
Bei einer Fahrt durch die Kaschubische Schweiz erreicht man 20 km südwestlich von Karthaus das Dorf Stendsitz, das am Südzipfel des schmalen, aber sehr langen und weitverzweigten Radaune-Sees im Quellgebiet des gleichnamigen Flusses liegt. Das in südliche Richtung hin aufgenommene Foto zeigt, dass der Ort aus zwei Siedlungsgebieten besteht, die sich rechts und links von einer Landbrücke ausdehnen. In früheren Zeiten handelte es sich aufgrund der Zuordnung des Grundbesitzes um zwei getrennte Ortschaften, um Adlig Stendsitz im Westen und um Königlich Stendsitz im Osten. Die Grenze bildete die Radaune, die, späterhin zum südlich anschließenden vormaligen Stasiczno‑, dem heutigen Stężyca– [Stendsitz-]See aufgestaut, über den schmalen Landstreifen in den Radaune-See fließt.
Hier wie in der ganzen Region wird das Auge von der sanft geschwungenen Hügellandschaft mit ihren ausgedehnten Buchenwäldern und klaren Seen, die des Öfteren auch aus tiefer eingeschnittenen Tälern hervorleuchten, erfreut. Dieser touristisch optimal erschlossene Teil der pommerschen Seenplatte lädt zudem dazu ein, die Natur und ihre Schönheiten aktiv zu erkunden : bei Spaziergängen oder auf Radwanderwegen, mit dem Kanu oder im Segelboot.
Spontan lässt sich dabei verstehen, warum die Kaschuben erzählen, dass der liebe Gott, der sie bei der Verteilung der Erde vergessen hatte, ihnen großmütig das Land geschenkt habe, wo er sich selbst hätte niederlassen wollen.

Die Ruine der Deutschordensburg Thor
Der Thorner Burg kommt an gleich zwei entscheidenden historischen Punkten eine besondere Bedeutung zu, denn sie steht symbolisch für den Aufstieg wie auch den Niedergang des Deutschen Ordens.
Zum einen war sie, 1231 an der Weichsel gegründet, die erste, die der Orden überhaupt im unteren Weichselland errichtete. An ihrem heutigen Ort – einige Kilometer stromaufwärts – entstand sie dann ab 1234 neu ; nun schützte und beherrschte sie die zwei Jahre später ebenfalls hierher verlegte Stadt.
Zum anderen war sie Anfang Februar 1454, am Beginn des Dreizehnjährigen Krieges, wiederum die erste, die nach nur kurzer Gegenwehr von den Bürgern erstürmt wurde : als Inbegriff der inzwischen verhassten Ordensherrschaft, gegen die sich schon 1440 der von Adligen und Städten getragene Preußische Bund gebildet hatte.
Um einer neuerlichen Besatzung, sei es durch den Orden, sei es durch Polen, den Boden zu entziehen, stimmte der Stadtrat der sofortigen Zerstörung zu. Erhalten blieben lediglich der Dansker (von dem links im Bild das Obergeschoss hervorragt) und der über zwei Brückenbögen führende, von Querdächern gekrönte Verbindungsgang. Dort befindet sich heute ein Museum, das einen Besuch ebenso lohnt wie das gesamte, zugängliche Gelände der ehemaligen Burg, die seit den 1960er Jahren archäologisch erforscht worden ist und inzwischen auch als eindrucksvoller Rahmen für Kulturveranstaltungen dient.

Turnier vor dem Westflügel von Schloss Gollub [Golub]
Als hätte der Betrachter eine Zeitreise in die Vergangenheit unternommen, blickt er auf ein mittelalterliches Spektakel : Während sich linker Hand Knappen und Pferdeknechte noch versammeln, haben auf der Gegenseite die Ritter schon in langer Reihe Aufstellung genommen und bereiten sich auf eine festliche Turnier-Eröffnung vor. Einige haben bereits ihre – besonders archaisch wirkenden – Topfhelme aufgesetzt, über vielen flattern Banner mit bildkräftigen Hoheitssymbolen, und der Kopf, Hals und Rumpf mehrerer Pferde sind von Stoffüberwürfen verhüllt, von „Rosskleidern“, die mit heraldischen Zeichen wie fransenbesetzten Säumen verziert sind.
Die Mittelalter-Szene mit ihren Festen, Aufzügen und Märkten hat sich während der letzten Jahrzehnte in allen europäischen Ländern etabliert, und findet insbesondere in der Region am Unterlauf der Weichsel, dem Kernland des früheren Ordensterritoriums, eine Vielfalt von Baudenkmälern vor, die sich in hohem Maße als Schauplatz solcher „Events“ eignen. Dazu zählt auch die ab 1293 oberhalb der gleichnamigen Drewenz-Stadt errichtete Deutschordensburg Gollub, die zwischen 1613 bis 1623 im Stil der Renaissance für Prinzessin Anna Wasa zur Residenz umgebaut wurde.
Vor dem Westflügel erstreckte sich ursprünglich die ausgedehnte Vorburg, von der heute aber nur noch wenige Reste zeugen – zum Glück für die Ritterspiel-Freunde, die dort nun ein ideales Turnier-Gelände vorfinden.

Steinkreis bei Odry, Kr. Konitz
In der Tucheler Heide befindet sich bei der Ortschaft Odry – wenige Kilometer nördlich der Stadt Czersk – ein Feld mit Grabhügeln und zehn Steinkreisen, deren Durchmesser von 15 bis zu 33 Metern betragen. Megalithen wie in Stonehenge sollte man aber nicht erwarten, denn selbst die größten Findlinge erreichen hier lediglich eine Höhe von 70 cm. Der Umfang der Anlage insgesamt ist aber durchaus beeindruckend : Es handelt sich um das größte Gräberfeld dieser Art in Polen sowie um das zweitgrößte in ganz Europa.
Archäologen haben insgesamt 600 Körper- und Brandgräber entdeckt und vermochten sie anhand der Beigaben dem ersten bis dritten Jahrhundert zuzuordnen – und mithin der historischen Phase, in der ostgermanische Stämme wie die Goten im Weichselland siedelten. In diesem kulturellen Kontext führen Versuche, von den Kreisfiguren und ihrem Arrangement auf zusätzliche religiöse oder kosmologische Bedeutungen zu schließen, nicht allzu weit. Immerhin lässt sich aber nachweisen, dass die Mittelpunkte einiger Hügel Achsen bilden, deren Positionen an den Laufbahnen der Sonne orientiert sind.
Schon vor mehr als 60 Jahren wurde das gesamte Gebiet zum Reservat erklärt. Dadurch sollten allerdings nicht nur die Steinkreise, sondern gerade auch etliche seltene Flechten-Arten unter Schutz gestellt werden, die für gewöhnlich nur im Hochgebirge vorkommen : In eins behütet und bewahrt, gehen dort seitdem Natur und Kultur eine enge Symbiose ein.

Der Dom zu Oliva (Stadt Danzig)
Die schmale Westfassade mit zwei schlanken Türmen, die, eine geradezu atemberaubende Dynamik entfaltend, gen Himmel streben, bestimmt den Eindruck, den die Besucher des Doms zu Oliva für gewöhnlich gewinnen. Wenn zugleich aus einer deutlich erhöhten Perspektive der langgestreckte Baukörper als Ganzes wahrnehmbar wird, erhöht sich nochmals der Respekt, den die Authentizität des Bauwerks einflößt : Nachdem die Zisterzienser im Laufe des 13. Jahrhunderts an ein 1200 entstandenes Oratorium das Quer- und das Langhaus angebaut hatten, blieb die Gestalt – abgesehen von der barocken Neukonzeption der Westfassade – im Prinzip unverändert.
Der neuartige Blick auf den Dom vermag auch die Vorstellung hervorzurufen, dass das ehrwürdige Architekturdenkmal wie ein Speicher seiner historischen Kontexte und Bedeutungen wirkt : von den Brandschatzungen durch die Prußen im 13. Jahrhundert über das Bollwerk der Gegenreformation bis zur Erhebung der Kirche zur Kathedrale des Erzbistums Danzig, das 1925 auf dem Territorium der Freien Stadt eingerichtet wurde.
Der prachtvolle Baumbestand, unter dessen herbstlich gefärbtem Blattwerk sich im Hintergrund der Äbtepalast eher ahnen denn entdecken lässt, gehört zu dem ausgedehnten und vielgestaltigen Park, der sich von hier an in östlicher Richtung erstreckt: Es ist äußerst lohnend, sich zunächst von dort aus dem Dom anzunähern – als behutsame Hinführung auf das Erlebnis der imponierenden Westfassade.

Am Fuß der Kamelhöhe auf der Frischen Nehrung
Auf der Frischen Nehrung, wo die Bewohner einst mit den Naturgewalten auf dem Wasser wie auf dem Lande um ihr kärgliches Auskommen kämpfen mussten, suchen heutzutage Touristen von nah und fern, insbesondere zur Badesaison, ihr Vergnügen. Bei ihnen ist das ehemals mondäne Kurbad Kahlberg äußerst beliebt.
Wer Ruhe jenseits des bunten Treibens ersehnt, findet sie eher in den ausgedehnten und dichtbewaldeten Dünengebieten, wo das Rauschen in den Wipfeln der Kiefern mit jenem des Meeres verschmilzt. Östlich des Ortes ist die „Kamelhöhe“ mit knapp 50 m die höchste Erhebung des Landschaftsparks – dort gibt ein hölzerner Aussichtsturm den Blick frei in die Weite : gen Norden über den hellen, breiten Sandstrand hinaus aufs offene Meer, zum Süden hin auf das Haff.
Die Aufforstung des Dünenkamms bietet neben seiner Schönheit den zwingend notwendigen Schutz vor Erosionen, vor allem, wenn im Herbst die Stürme gnadenlos über die hier nur 900 m breite Landzunge hinwegfegen. Ökologisch nicht minder bedeutsam ist das Schilfufer, das sich sanft geschwungen auf der Haff-Seite entlangzieht. Einer Vielzahl von Tieren gewährt es Schutz, einen Lebensraum und auch Brutplatz und fördert darüber hinaus die stetige Verlandung. Das scharfe Auge des Betrachters wird am Horizont die zarten Konturen der gegenüberliegenden Küste wahrnehmen. Von dort legen die Ausflugsschiffe ab, um erwartungsfrohe Besucher zum Hafen von Kahlberg überzusetzen.

Die Kreisstadt Deutsch Krone
Die stimmungsvolle Aufnahme lässt deutlich spüren, dass die aufgehende Sonne bald die Kraft gewinnen wird, die Dunstschichten zu durchdringen und den Nebel allmählich zum Verschwinden zu bringen. Vielleicht wäre aber auch die Vorstellung nicht ganz abwegig, dass hier wundersamerweise eine versunkene Stadt – wie eine Atlantis – wieder aus den Fluten auftaucht ?
Trotz der mythisch anmutenden Verschleierung ist gut zu erkennen, dass eine Landzunge malerisch in den noch von dichtem Bodennebel bedeckten Schloss-See ragt. Dort befanden sich die frühesten, schon im 13. Jahrhundert bestehenden Ansiedlungen : eine villa Cron des Templerordens und daneben ein slawisches Fischerdorf mit dem (seit 1945 für die Stadt geltenden) Namen Wałcz. Von der rechten unteren Bildecke aus führt die Hauptstraße geradewegs in nordöstlicher Richtung durch die Stadt. Dies ist die alte Poststraße von Berlin nach Königsberg, die späterhin ein Teil der Reichsstraße 1 wurde. Sie läuft am Marktplatz mit der neugotischen katholischen Kirche sowie dem neobarocken Rathaus und späterhin, bevor sie sich im Dunst verliert, am kompakten Gebäude der Reichspost vorbei.
Am frühen Morgen ist die vielbefahrene Straße noch nicht vom Durchgangsverkehr beherrscht, und so lässt das Foto für einen Moment den Eindruck einer gemütlichen kleinen Stadt wiedererstehen, deren Anlage und Atmosphäre von der im Umland dominierenden Landwirtschaft geprägt worden sind.

Die katholische Kirche von Kasparus, Kr. Preußisch Stargard
Die Konflikte, die das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerade in Westpreußen beherrschten, haben in dem kleinen, bei Ossiek liegenden Dorf Kasparus deutliche Spuren hinterlassen : Zum einen protestierte hier die polnische Bevölkerungsmehrheit 1906/1907 mit einem denkwürdigen, bis heute erinnerten Schulstreik gegen die strikte preußische Germanisierungspolitik. Zum anderen war 1926 endlich die seit langem geplante katholische Kirche errichtet worden, 1939 wurde jedoch der Priester der Gemeinde von deutschen Einsatzgruppen ermordet.
Nicht zuletzt aufgrund dieser geschichtlichen Erfahrungen pflegen die Dorfbewohner zu ihrer St. Josef-Kirche eine innige Beziehung : Obwohl die Zahl der Gemeindeglieder auf nur noch gut 150 gesunken ist – und die Pfarrei inzwischen sogar eine der kleinsten in ganz Polen bildet –, wurde 2013 für eine gründliche Renovierung des Gotteshauses und des an der Westseite stehenden Glockenstuhls gesorgt.
Schon seit längerem wird diese schmucke Dorfkirche von Fotografen gerne ins Bild gesetzt. Dabei erscheint der mit Klinkern ausgemauerte Fachwerkbau mit dem polygonalen Chor in der hier wiedergegebenen Südost-Ansicht besonders reizvoll. Dass der Name des Ortes mittlerweile vor allem mit diesem beliebten Foto-Motiv und weniger mit früheren ethnischen Spannungen in Zusammenhang gebracht wird, hat somit letztlich etwas Friedvolles und Versöhnliches.
Die polnischen Text finden sich hier.