
Titelblatt: Blick über den Elbing auf die gegenüberliegende Promenade (ehemals Hermann-Balk-Ufer), die St.-Nikolai-Kirche und die Altstadt von Elbing. Die Giebelreihe gehört zu den Häusern an der Brück-Straße. Sie sind überwiegend erst während der letzten Jahrzehnte in freieren Variationen originaler architektonischer Muster wiedererstanden. (Foto: Leonid Andronov, Alamy Stock Fotos)
Bildauswahl und Texte: Erik Fischer
Übersetzung ins Polnische: Joanna Szkolnicka
Grafik: Mediengestaltung Kohlhaas

DER WESTPREUSSEN-KALENDER 2020
Danzig und das Land an der unteren Weichsel – mit den UNESCO-Welterbestätten Marienburg und Thorn – bilden höchst beliebte Reiseziele. Besucher stoßen dann rasch darauf, dass diese Landschaft auch mit der deutschen Geschichte verbunden ist, bis 1920 »Westpreußen« hieß und für Deutsche wie Polen einen wichtigen Erinnerungsort bildet : Hier befand sich beispielsweise das Kerngebiet des Territoriums, das im Mittelalter vom Deutschen Orden beherrscht wurde, und gerade hier musste das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg einschneidende territoriale Veränderungen hinnehmen.
In der Gegenwart ist »Westpreußen« vor allem eine Erinnerungslandschaft für Menschen, die aus dieser Region stammen und für deren Familien dieses Land oft jahrhundertelang Heimat war ; und zugleich ist es eine historische Kategorie, die den heutigen Bewohnern bei ihrer Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe und der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte einen wichtigen Orientierungsraum eröffnet.

Blick vom Bergfried der Ordensburg auf Graudenz und die Weichsel
Nördlich der am hohen Ostufer der Weichsel gelegenen Stadt errichtete der Deutsche Orden um die Mitte des 13. Jahrhunderts eine Burg, die im Laufe der Zeit mehrere schwere Beschädigungen erlitt. Selbst das letzte Relikt, der Bergfried, wurde 1945 zerstört. Seit wenigen Jahren aber hat der alte Burgplatz ein ganz neues Aussehen gewonnen: Dort ist nun ein kleiner archäologischer Park eingerichtet worden, dessen ausgesprochene Attraktion der wiedererrichtete, besteigbare Bergfried bildet.
Von dieser Warte aus öffnet sich ein faszinierend weiter Blick, der in unserem Falle weichselaufwärts gerichtet ist. Ihren Reiz gewinnt diese Aufnahme durch die spezifischen Lichtbedingungen der kalten Jahreszeit. Der winterliche Dunst mildert die Massivität der Wohnhochhäuser in der südlichen Vorstadt vorteilhaft ab; zugleich erweckt er den Eindruck, als forme sich der breite, silbern glänzende Fluss erst allmählich im diffusen Grenzbereich von Himmel und Erde.
Vom Bergfried aus betrachtet, wirkt die verschneite Altstadt, aus der die Turmhaube des Rathauses, des ehemaligen Jesuitenkollegs, und der von einer Laterne gekrönte Turm der Pfarrkirche St. Nikolaus hervorragen, gleichsam verdichtet, und erst recht beeindruckt jetzt die imposante Höhe der Wehrspeicher, die bis zum Flussufer hinunterreichen. Schließlich lässt sich in dieser Perspektive sonderlich gut erkennen, was für ein mächtiges technisches Bauwerk die – mit ihrem Spiegelbild schemenhaft im Bildmittelgrund auftauchende – Graudenzer Weichselbrücke darstellt.

Der Bergfried der Burg Schlochau und das angebaute Kirchenschiff
Der Deutsche Orden erwarb 1312 das gut 100 Jahre zuvor von Pomoranen gegründete Dorf Schlochau, errichtete dort von 1325 bis 1336 seine – nach der Marienburg – zweitgrößte Komturei und baute auf dem Schlossberg eine mächtige Burg. Sie wurde durch Kriegseinwirkungen im 17. und bei Stadtbränden im späten 18. Jahrhundert stark beschädigt und durfte daraufhin von den Bürgern für den Wiederaufbau ihrer Häuser als Steinbruch genutzt werden. Vom ganzen Bauwerk blieb – abgesehen von einigen Umfassungsmauern – letztlich nur der achteckige, an der Nordost-Ecke der Burg stehende Bergfried erhalten.
Einen ganz neuen Impuls setzte der Plan, auf dem Fundament des Nordflügels eine Kirche für die evangelische Gemeinde der Stadt zu errichten. Der Entwurf des klassizistischen Baus, auf den Karl Friedrich Schinkel zumindest als Ratgeber Einfluss nahm, wurde von 1826 bis 1828 umgesetzt. Indem der Bergfried funktional in einen „Kirchturm“ verwandelt wurde, führte die Kombination der beiden heterogenen Baukörper unweigerlich zu einem spannungsvoll-produktiven Verhältnis zwischen den Formen und Proportionen der Ordenszeit und denjenigen des Klassizismus.
Die auf der kirchlichen Nutzung beruhende integrative Kraft ging 1945 mit dem Untergang der Gemeinde allerdings verloren. Seitdem hat der hybride Gebäude-Komplex als Theatersaal und Kulturzentrum unterschiedlichen Zwecken gedient. Nach dem Abschluss eingehender Renovierungsarbeiten ist dort nun seit einigen Jahren das Regionalmuseum des Kreises untergebracht.
Die polnischen Text finden sich hier.

Die Drewenz bei Strasburg
Unter den Hunderten von Weidenarten gibt es jene Sorten, die bevorzugt an Bachläufen, auf dauerfeuchten Auen oder zeitweise überschwemmten Lehmböden wachsen – die Lorbeerweide ist ebenso charakteristisch für die Vegetation Ost- und Westpreußens wie die Knackweide, deren dünne Zweige, vom Hochwasser gebrochen, an Land gespült werden, um dort dann wurzeln zu können. Während der Blütezeit sind sie ein ökologisches Paradies für Hummeln und Bienen und bezaubern durch das Farbspiel ihres Blattwerks. Nicht minder reizvoll ist des Winters der Blick auf jene knorrigen Gesellen, die gemeinsam dem Wasser trotzen und ihre biegsamen Äste gen Himmel strecken.
Unser Foto zeigt solch eine Weiden-Gruppe an der Drewenz. Es wurde im Vorfrühling von den alten Hochwasserdämmen aus aufgenommen, die in der Nähe des Strasburger Stadtwäldchens verlaufen. Von dort schaut man über den Fluss in Richtung des am anderen Ufer liegenden Stadtteils Michelau.
Dass sich solche fast choreographischen Formationen der Natur an der Drewenz finden, wird durch die Eigenschaften dieses Flusses begünstigt. Die südöstliche Lebensader Westpreußens hat, bevor sie oberhalb von Thorn in die Weichsel mündet, zwar 253 km zurückgelegt, weist aber auf diesem langen Wege insgesamt nur ein äußerst geringes Gefälle auf. Auch im Kreis Strasburg windet sie sich in ihrem breiten Tal gemächlich, in vielfachen Schleifen, durch die Wiesen, die sie je nach Wasserstand überflutet – und bietet somit Weiden dort optimale Entfaltungsmöglichkeiten.

Gebäude an der Langen Brücke sowie die Marienkirche in Danzig
Wer sich in Danzig umschaut, nimmt zuallererst das überwältigend Dimensionierte und Prachtvolle der Stadt wahr. Am Eingang zur Altstadt steht das „Hohe Tor“, andere Gebäude tragen das Epitheton „golden“, die Prachtstraße und der Markt der Rechtstadt sowie der Kai werden ausdrücklich als „lang“ gekennzeichnet, und die imposante Pfarrkirche St. Marien ist unbestritten die größte Kirche der Backsteingotik.
Aufnahmen von Danzig bemühen sich in der Regel, einen möglichst weiten Blick auf die Fülle der Sehenswürdigkeiten zu eröffnen. Demgegenüber hat der Fotograf des Kalender-Blattes den Versuch unternommen, ein kompaktes Bild der mächtigen Stadt zu entwerfen. Ein (zur Zeit der Aufnahme noch vorhandenes) Ruinen-Fragment von der Speicherinsel-Bebauung, der (vom Fluss aus) rechte Turm des Frauentors und die Giebel der Häuser, das markante Gebäude der „Naturforschenden Gesellschaft“ sowie das Kirchenschiff und die Türme von St. Marien erscheinen äußerst dicht gestaffelt, als bildeten sie Schichten eines Pop-up-Buches, das auseinandergefaltet werden müsste, um dann erst einen korrekten Eindruck von Tiefe vermitteln zu können.
Solch ein Konzept setzt eine spezifische Vorgehensweise voraus. Aus der Bildkomposition lässt sich erschließen, dass das Foto mit einem Superteleobjektiv aus großer Entfernung und von einer deutlich erhöhten Position aus aufgenommen wurde: Vermutlich stand die Kamera auf einer oberen Etage der Häuser an der Marina, am hinteren Straßenverlauf der Schäferei.

Ruine der Burg Schönberg, Kr. Deutsch Eylau
Die Drohnenfotografie ermöglicht es uns, das völlig entkernte Mauergeviert der Burg Schönberg als Ganzes zu überschauen. Der nach Norden hin aufgenommene Komplex liegt wenige Kilometer nordwestlich von Deutsch Eylau und gehörte, bis die Kreisverwaltung in der Nachkriegszeit in diese Stadt verlegt wurde, zum Kreis Rosenberg. Unterhalb des Bildausschnitts beginnt der langgestreckte Haussee; vom Südflügel aus bot er den früheren Bewohnern malerische Ansichten.
Die Baugeschichte der großen Burg, die das – in Marienwerder residierende – Domkapitel von Pomesanien errichten ließ, begann Anfang des 14. Jahrhunderts und setzte sich nach der Fertigstellung im Jahre 1386 in verschiedenen Aus- und Umbauten fort. Nach der Reformation wechselten die Eigentümer; von 1699 an war die Burg dann im Besitz des Grafen Finck von Finckenstein.
Irene Gräfin Finck von Finckenstein-Schönberg (1866–1957), die letzte Besitzerin von Schönberg, hat ein Jahr vor ihrem Tode ihre Erinnerungen an die Ordensburg in Form eines Rundgangs festgehalten. Die im Jahre 2000 erschienenen detaillierten Schilderungen sowie ergänzende Fotografien aus der Vorkriegszeit lassen ermessen, welch ein Verlust entstanden ist, als das Schloss, das 1945 von der Roten Armee unversehrt eingenommen worden war, bei deren Abzug mutwillig in Brand gesteckt wurde. – Da jüngere Konzepte einer neuerlichen Verwendung bislang nicht zum Zuge gekommen sind, bleibt die Ruine zunächst als beklemmendes Denkmal der verheerenden Kriegsfolgen in Westpreußen erhalten.

Im Fischerhafen von Putzig
Unterhalb der trutzig wirkenden, in der Ordenszeit errichteten Pfarrkirche St. Peter und Paul drängen sich im Hafen von Putzig festlich geschmückte Fischerboote, während Schaulustige den Kai und die Zufahrtsstraße säumen. Selbst wer die Nordkaschubei nur oberflächlich kennt, weiß, dass dieses Bild an einem 29. Juni, an dem das Fest der Apostel Petrus und Paulus begangen wird, aufgenommen sein muss.
Als Küstenregion ist das Putziger Land neben der Landwirtschaft vornehmlich vom Fischfang geprägt worden. Dies gilt insbesondere für die Halbinsel Hela, die kaum über Agrarflächen verfügt und in deren Fischersiedlungen sich spezifische soziale Strukturen und kulturelle Traditionen herausgebildet haben. In diesen Kontext gehört die große, regelmäßig zu Peter und Paul stattfindende Fischerwallfahrt. Am Vormittag dieses Tages stechen Boote von Putzig und Hela, aber auch von anderen Orten aus in See und kommen mitten auf der Putziger Wiek – dem westlichen, durch die Halbinsel Hela von der Ostsee abgetrennten seichten Teil der Danziger Bucht – zusammen. Dort, auf dem Wasser, feiern die Fischer einen gemeinsamen Gottesdienst. Danach steuern sie Putzig an, wo in der Peter-und-Paul-Kirche zum Abschluss der Wallfahrt eine weitere Messe zelebriert wird.
Dieses traditionsreiche Fest belegt gewiss die Heimatverbundenheit der Kaschuben – zeugt zugleich aber auch vom Geschick dieser Volksgruppe, durch ihre Brauchtumspflege eine breitere, nicht zuletzt auch touristisch relevante Aufmerksamkeit zu wecken.

Windmühle im Kaschubischen
Ethnographischen Park in Sanddorf
Das Verständnis für kulturgeschichtliche Zusammenhänge kann gerade durch Freilichtmuseen geweckt und vertieft werden. Originale Gebäude und Anlagen selbst betreten bzw. erkunden zu können, ermöglicht eine „unmittelbare“ Erfahrung, deren Authentizität nochmals gesteigert wird, wenn die alte Dampfmaschine des Sägewerks richtig stampft und zischt, der Schmied arbeitet oder ein Lehrer im Schulhaus eine Unterrichtsstunde hält. Deshalb ist auch der Sanddorfer Park bei Jung und Alt sehr beliebt.
Die Gründung des Museums im Jahre 1906 darf als hellsichtig bezeichnet werden: Der von Theodora und Isidor Gulgowski initiierte Kaschubische Park ist heute die älteste Einrichtung dieser Art in Polen und bildet auch im internationalen Vergleich eine bemerkenswerte Pionierleistung. Zudem förderte das Gründer-Ehepaar mit seinem Projekt nachdrücklich die sich damals entwickelnden Bemühungen um eine kulturelle Emanzipation der Kaschuben.
Das Museum vermittelt heute mit seinen nahezu 50 Gebäuden bzw. Anlagen ein vielschichtiges Bild von der früheren Lebenswelt der bäuerlich geprägten Kaschubei. Dazu gehört auch ein Paar von Windmühlen: eine technisch avancierte Holländerwindmühle, die gleich in der Nähe des Park-Eingangs aufgestellt ist, und – kurz nach dem Scheitelpunkt des Rundwegs – die hier gezeigte Bockwindmühle bzw. „Deutsche Windmühle“; sie stammt aus dem Dorf Jezewnitz, Kr. Pr. Stargard, und repräsentiert den älteren Bautyp, bei dem das Mühlenhaus auf einem tragenden Pfahl ruht und als Ganzes gedreht werden kann.

Der Marktplatz von Kulm
Kulm bildet heute eine Station auf der „Europäischen Route der Backsteingotik“, weil die Stadt eine Reihe bedeutender Bauwerke aufweist, zu denen zuallererst die um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert an der südlichen Ecke des Marktplatzes errichtete Pfarrkirche St. Marien zählt. Dass dort in einem kostbaren Reliquiar ein Fragment vom Schädelknochen des Heiligen Valentin aufbewahrt wird, gab überdies einen willkommenen Anlass dafür, dass sich Kulm seit den 1990er Jahren als „Stadt der Verliebten“ bezeichnet und inzwischen – nicht nur während der Festveranstaltungen um den 14. Februar – gerade auf junge Menschen eine große Anziehungskraft ausübt.
Die schon 1065 urkundlich erwähnte Stadt wurde 1232 in geringer Entfernung von ihrem früheren Ort neuerlich erbaut und bildete damit die nach Thorn zweite Stadtgründung des Deutschen Ordens. Hier wurde zwei Jahre später zudem das nach ihr benannte und für das Ordensland verbindliche Kulmer Recht – die „Kulmer Handfeste“ – kodifiziert.
Als reiche Handelsstadt gehörte Kulm bis 1437 der Hanse an und wurde kurz darauf in die militärischen Auseinandersetzungen des Dreizehnjährigen Krieges hineingezogen. Danach setzte ein langwährender Niedergang ein, dessen ungeachtet aber von 1567 bis 1572 noch das gotische Rathaus im Sinne der Renaissance umgebaut wurde: Dadurch entstand ein Kleinod der manieristischen Architektur, dessen Stilsicherheit und Zierlichkeit auf unserem Bild gerade vor dem Hintergrund der monumentalen St. Marien-Kirche offenkundig werden.

Die Weichsel bei Mewe
Besucher, die das Städtchen Mewe als geschichtsträchtigen Ort mit seiner historischen Altstadt und der Ordensburg erkundet haben, sollten nicht versäumen, das östlich gelegene hohe Weichselufer aufzusuchen, den Blick über den Strom und seine Auen schweifen zu lassen und auch auf das malerische Gesträuch zu achten, an dem die zierlichen Rosenäpfel von vergangener sommerlicher Blütenpracht erzählen. Stille macht sich breit – und nichts erinnert daran, dass hier einst in strategisch günstiger Lage Macht ausgeübt wurde und ein militärisch befestigter, wirtschaftlich bedeutsamer Umschlagsplatz für Bier, Holz und Weizen gelegen hat.
Die eindrucksvolle Stille, die das Rauschen der Weichsel eher grundiert denn unterbricht, hat sich endgültig allerdings erst 2013 eingestellt. Nur einige Meter flussabwärts, an der Einmündung der Ferse, pendelte bis dahin eine Fähre hin und her, die den Straßenverkehr zwischen den beiden Kreisen Dirschau und Marienwerder sicherstellte und erst durch die neue Weichselbrücke bei Marienwerder funktionslos geworden ist.
Neben jener Stille vermittelt dieser Ort freilich auch das Gefühl einer wohltuend friedvollen Ruhe – insbesondere, wenn man sich daran erinnert, dass in der Zwischenkriegszeit nahe am gegenüberliegenden, östlichen Ufer die Staatsgrenze zwischen Polen und dem Deutschen Reich verlief und hier Feindschaft und Misstrauen herrschten. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu beglückend, dass die Weichsel sich inzwischen jenseits aller Nationalismen zu einem europäischen Strom gewandelt hat.

Blick über die Nogat auf die Marienburg
Für Jahrhunderte ist die Marienburg von Auseinandersetzungen um staatliche wie militärische Vorherrschaft bestimmt gewesen. Sie bildete das Macht- und Verwaltungszentrum des Ordensstaates, wurden nach der Niederlage des Ordens bei Tannenberg (1410) belagert und kam infolge der Konflikte während des Preußischen Städtekriegs 1466 endgültig in polnischen Besitz. In den beiden Polnisch-Schwedischen Kriegen des 17. Jahrhunderts wurde sie auch von den Schweden zeitweilig als Festung genutzt und 1772 dann von Preußen übernommen. Ihre historisch angemessene Wiederherstellung erhielt den Rang einer umfassenden nationalen Aufgabe; überdies wurde das Bauwerk seit dem späteren 19. Jahrhundert mit einer Fülle ideologischer, nicht zuletzt antipolnischer Vorstellungen befrachtet, mit deren Hilfe der Ordensstaat Herrschaftsansprüche des Deutschen Reichs begründen sollte.
1945 erlitt die Marienburg verheerende Schäden, zudem war ihre Zeit als Festung und als Symbol des Deutschtums endgültig vorüber. Der polnische Staat hat sie als Zeugnis der abendländischen Kultur über Jahrzehnte verantwortungsvoll wiederaufgebaut. Jetzt ist sie ein transnationales Museum und wird seit 1997 auch in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes geführt. Deshalb müssen Abbildungen der beeindruckenden Anlage nicht mehr deren trutzig-martialische Dimension akzentuieren, sondern können sie – wie auf unserem Foto – durchaus im Hintergrund positionieren und sie befriedet, mit ihrer Geschichte versöhnt, im Glanz der Abendsonne erstrahlen lassen.

Gräber auf dem Mennoniten-Friedhof in Crone an der Brahe
ERRATUM: Das Kalenderblatt zeigt nicht den mennonitischen, sondern den jüdischen Friedhof von Crone an der Brahe. Diese Abweichung des Bildes vom Kommentar bittet die Redaktion zu entschuldigen.
Eine Reihe von Orten am Unterlauf der Weichsel erinnert an das Leben und Wirken der Mennoniten, die sich – vornehmlich aus den Niederlanden – dort seit der Zeit der Glaubenskämpfe ansiedelten, weil sie als Teil der radikal-reformatorischen Täuferbewegung in vielen europäischen Territorien verfolgt wurden. Ungeachtet aller konfessionellen Vorbehalte und rechtlichen Einschränkungen waren sie als geschickte Handwerker durchaus willkommen; vor allem freilich brachten sie spezielle Kenntnisse im Deichbau mit und konnten die Entwässerung sumpfiger Landstriche fördern.
Konfessionelle Streitigkeiten, in die Mennoniten-Gemeinden immer wieder verstrickt wurden, resultierten häufig aus der Frage, ob bzw. in welchem Maße sie zu Kirchenabgaben an die jeweilige, ihnen ferne Ortskirche verpflichtet seien; noch schwerer wog das Problem, dass sie auch über den Tod hinaus diskreditiert wurden; denn auf den Friedhöfen wurden ihnen Bestattungen – zumindest in angemessener Weise – verwehrt. Deshalb wandten sie sich schon 1773, nur ein Jahr, nachdem Preußen die Verwaltung des Landes übernommen hatte, an die Kriegs- und Domainenkammer zu Marienwerder, die ihnen, unter Hinweis auf entsprechende, im Königreich Preußen längst bestehende Privilegien daraufhin die Freiheit gewährte, „ihre Leichen auf ihren Friedhöfen begraben zu können“.
Nicht zuletzt diesem Recht ist es zu danken, dass es vornehmlich Friedhöfe sind, die heute noch von der niederländisch geprägten Kultur der Mennoniten in Westpreußen Zeugnis ablegen können.

Das Zentrum der Altstadt von Thorn
Nachdem der Deutsche Orden 1231 die Weichsel überschritten hatte, war Thorn die erste von ihm errichtete Stadt des Kulmer Landes. Schon kurz nach diesem Eintrag in die Gründungsgeschichte des Deutschordensstaates nahm Thorn eine äußerst günstige Entwicklung. Dem wohlhabenden Mitglied der Hanse, das bald als „Königin der Weichsel“ gerühmt wurde, wuchsen erhebliche Mittel zu, so dass sich ab 1250 bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit entfalten konnte.
In jener Zeit entstanden bedeutende Bauwerke wie die Altstädter bzw. Neustädter Pfarrkirchen St. Johann und St. Jakob oder das imposante Altstädtische Rathaus, das auf unserem Kalenderblatt die untere Bildhälfte beherrscht. Es wurde ab 1393 an Stelle mehrerer Vorgängerbauten als vierflügelige Anlage mit einem geräumigen Innenhof errichtet und sucht als beeindruckend dimensionierte, machtvolle Manifestation bürgerlichen Stolzes und Selbstbewusstseins in der mittelalterlichen Rathaus-Architektur seinesgleichen.
Hinter dem Turm ist der – 1890 im historisierenden Stil der Zeit wiedererrichtete – Artushof zu erkennen. Die ehemals evangelische Hl. Geist-Kirche, die inzwischen für Universitätsgottesdienste genutzt wird, prägt ebenfalls das Gesamtbild des Altstädtischen Markts. Wird das Gebäudeensemble dann noch stimmungsvoll illuminiert, vermag das von Kriegsschäden weitgehend verschonte Thorn, dessen Altstadt noch heute einen Eindruck vom urbanen Leben im Mittelalter geben kann, seinen ganzen Zauber zu entfalten.
Die polnischen Text finden sich hier.