WPK Titel 2021

Titel­blatt: Die Alt­stadt von Mewe: Von der Pfarr­kir­che St. Niko­laus im Vor­der­grund reicht der Blick über den Markt­platz und die mäch­ti­ge Deutsch­or­dens­burg bis zur Weich­sel. (Foto: worl​dis​beau​tiful​.eu)

Bild­aus­wahl: Ursu­la Enke
Tex­te: Erik Fischer
Über­set­zung ins Pol­ni­sche: Joan­na Szkol­ni­cka
Gra­fik: Medi­en­ge­stal­tung Kohl­haas, Bonn

Her­aus­ge­be­rin: West­preu­ßi­sche Gesell­schaft
Müh­len­damm 1 • 48167 Münster-Wolbeck


Ein­zel­blät­ter sind über die Monats­na­men erreichbar


WPK Orte 2021

DER WESTPREUSSEN-​​KALENDER 2021

Dan­zig und das Land an der unte­ren Weich­sel – mit den UNESCO-​​Welterbestätten Mari­en­burg und Thorn – bil­den höchst belieb­te Rei­se­zie­le. Besu­cher sto­ßen dann rasch dar­auf, dass die­se Land­schaft auch mit der deut­schen Geschich­te ver­bun­den ist, bis 1920 »West­preu­ßen« hieß und für Deut­sche wie Polen einen wich­ti­gen Erin­ne­rungs­ort bil­det :  Hier befand sich bei­spiels­wei­se das Kern­ge­biet des Ter­ri­to­ri­ums, das im Mit­tel­al­ter vom Deut­schen Orden beherrscht wur­de, und gera­de hier muss­te das Deut­sche Reich nach dem Ers­ten Welt­krieg ein­schnei­den­de ter­ri­to­ria­le Ver­än­de­run­gen hinnehmen.

In der Gegen­wart ist »West­preu­ßen« vor allem eine Erin­ne­rungs­land­schaft für Men­schen, die aus die­ser Regi­on stam­men und für deren Fami­li­en die­ses Land oft jahr­hun­der­te­lang Hei­mat war ;  und zugleich ist es eine his­to­ri­sche Kate­go­rie, die den heu­ti­gen Bewoh­nern bei ihrer Beschäf­ti­gung mit dem kul­tu­rel­len Erbe und der gemein­sa­men deutsch-​​polnischen Geschich­te einen wich­ti­gen Ori­en­tie­rungs­raum eröffnet.

WPK 1 2021
Foto: Tomasz Woź­ni­ak (Depo­sit­pho­tos)

Am Ufer der Putziger Wiek

Der Win­ter hat Ein­zug gehal­ten, und in fros­ti­ger Käl­te ver­harrt die Natur. Jüngst noch wieg­ten sich die fili­gra­nen Schilf­hal­me sacht in einer schwa­chen Bri­se, nun wir­ken auch sie erstarrt, und allein die Spu­ren im Schnee zeu­gen von leben­di­gem Trei­ben. Die Son­ne schickt ver­hei­ßungs­voll ihr mor­gend­li­ches Licht, tönt die zar­ten Wol­ken­schlei­er in ein chan­gie­ren­des Farb­spiel, das sich dort, wo die Was­ser­ober­flä­che nicht gänz­lich vom Eis ver­sie­gelt ist, widerspiegelt.

Die­se Auf­nah­me erin­nert dar­an, dass in der frü­he­ren Pro­vinz West­preu­ßen stets lan­ge und stren­ge Win­ter herrsch­ten. Selbst wenn inzwi­schen auch in die­ser Regi­on die Tem­pe­ra­tu­ren stei­gen, bie­tet die Put­zi­ger Wiek wei­ter­hin gute Chan­cen, die Atmo­sphä­re solch eines Win­ters ein­zu­fan­gen :  Sie begüns­tig die Bil­dung einer kom­pak­ten Eis­decke, denn sie ist bei einer Tie­fe von nur zwei bis sechs Metern sehr seicht und zudem durch die seit weni­gen Jahr­hun­der­ten durch­gän­gig geschlos­se­ne Küs­ten­li­nie von Hela sowie durch das „Reff“, eine schma­le, oft­mals über­flu­te­te Sand­bank, gegen­über der Ost­see im Nor­den bzw. von der übri­gen Dan­zi­ger Bucht nach Osten hin abgeschirmt.

Ein belieb­ter Aus­sichts­punkt an der Stra­ße nach Gro­ßen­dorf eröff­net die Mög­lich­keit, die Bild­kom­po­si­ti­on geschickt abzu­run­den, weil sich von hier aus nicht nur die har­mo­nisch geschwun­ge­ne Ufer­li­nie, son­dern in der Fer­ne sogar die pit­to­res­ke – den Hafen von Put­zig domi­nie­ren­de – ordens­zeit­li­che Pfarr­kir­che St. Peter und Paul dem Blick darbieten.

WPK 2 2021
Foto: Horia Bog­dan (Ala­my Stock Photo)

Wahrzeichen der Danziger Rechtstadt

Die spät­go­ti­sche Hal­len­kir­che Sankt Mari­en ent­stand nach der Grund­stein­le­gung im Jah­re 1343 in drei Bau­pha­sen bis 1502. Seit­dem bestimmt ihr impo­san­tes Erschei­nungs­bild mit dem mäch­ti­gen West-​​Turm, den schlan­ken Eck­tür­men und dem Dach­rei­ter die Sil­hou­et­te der Stadt. Es gibt auf der Welt wohl nur weni­ge Orte, an denen sich die Vor­stel­lung von ­einer Kir­che als Schiff auf einem Häu­ser­meer der­art intui­tiv nach­voll­zie­hen lässt wie in Danzig.

Neben die­sem spät­mit­tel­al­ter­li­chen Bau­werk zeugt der Turm des Recht­städ­ti­schen Rat­hau­ses von der zwei­ten prä­gen­den Epo­che der Stadt­ent­wick­lung, die vom aus­ge­hen­den 15. bis zur Mit­te des 17. Jahr­hun­derts reicht und in der die Patri­zi­er ihr früh­neu­zeit­li­ches Bedürf­nis befrie­dig­ten, den Über­fluss an Reich­tum und Macht nach außen hin sicht­bar wer­den zu las­sen. Als der schlan­ke Turm 1561 sei­nen von Dirk Dani­els ent­wor­fe­nen Helm erhielt, dien­te bereits die dama­li­ge fort­schritt­li­che Archi­tek­tur der Nie­der­lan­de als Vor­bild. Des­halb wur­de in der Kon­zep­ti­on auch eine eige­ne Eta­ge für ein Turm­glo­cken­spiel vorgesehen.

Die­se bei­den Wahr­zei­chen der Recht­stadt reprä­sen­tie­ren Dan­zigs Gol­de­nes Zeit­al­ter. Wenn sie an einem strah­len­den und win­ter­li­chen Februar-​​Tage so geschickt auf­ge­nom­men wer­den, dass sie die bei­den Brenn­punk­te eines Fotos bil­den und die Hoch­häu­ser und Schlo­te im Hin­ter­grund kaum sicht­bar sind, kann der Ein­druck ent­ste­hen, dass die Zeit zurück­ge­dreht sei. Viel­leicht meint man auch, ent­fernt den Klang des Caril­lons zu hören ?

WPK 3 2021
Foto: worl​dis​beau​tiful​.eu

Die Marienburg und die Stadt Marienburg

Die Drohnen-​​Fotografie eröff­net span­nen­de Mög­lich­kei­ten, längst Bekann­tes auf ande­re Art wahr­zu­neh­men. Wäh­rend die Mari­en­burg aller­meist vom west­li­chen Nogat-​​Ufer aus auf­ge­nom­men wird, geht der Blick nun dem Fluss ent­ge­gen, der aus süd­öst­li­cher Rich­tung auf die Stadt zufließt. Der frü­he­re Hoch­meis­ter­sitz wird dabei aus einer erhöh­ten Sei­ten­per­spek­ti­ve abge­bil­det :  Auch jetzt tritt das – übli­cher­wei­se akzen­tu­ier­te – Wehrhaft-​​Trutzige des Bau­werks her­vor, zudem aber wer­den wie an einem drei­dimensionalen Modell auch die Raum­pro­por­tio­nen sowie die aus­dif­fe­ren­zier­ten archi­tek­to­ni­schen Glie­de­run­gen die­ses reprä­sen­ta­ti­ven Herr­schafts­zen­trums sichtbar.

Die Geneigt­auf­nah­me zeigt aller­dings nicht nur das Ver­trau­te in einer unge­wohn­ten Wei­se, son­dern gibt auch den Blick auf das Umfeld der monu­men­ta­len Burg­an­la­ge frei, das sonst in aller Regel aus­ge­blen­det bleibt. Die Stadt rückt mit eini­gen ihrer Sehens­wür­dig­kei­ten eben­falls in den Fokus :  Hin­ter dem Dans­ker steht – bereits jen­seits der Wehr­mauer – die St. Johannes-​​Kirche, und links von deren Turm ist der Gie­bel des his­to­ri­schen Rat­hau­ses erkenn­bar, in gera­der Linie gefolgt vom Mari­en­tor und dem 1905 errich­te­ten Wasserturm.

Nicht zuletzt lässt das Foto frei­lich auch den Kon­trast zwi­schen die­sen weni­gen Relik­ten und den Neu­bau­ten zu Bewusst­sein kom­men, die sich weder an his­to­ri­schen Grund­ris­sen noch an cha­rak­te­ris­ti­schen Archi­tek­tur­ele­men­ten des alten Mari­en­burg ori­en­tiert haben.

WPK 4 2021
Foto: Archi­wum Mias­ta i Gmi­ny Prabuty

Rolandbrunnen in Riesenburg

Beim Blick auf die reich ver­zier­te Brun­nen­scha­le und den im Hin­ter­grund auf­tau­chen­den Turm einer ordens­zeit­li­chen Kir­che wer­den sich alle, die jemals Rie­sen­burg besucht haben, sofort an den Auf­nah­me­ort, den Markt­platz der Stadt, ver­setzt fühlen.

Die ehr­wür­di­ge, bis 1945 evan­ge­li­sche Pfarr­kir­che, die inzwi­schen unter dem Patro­zi­ni­um des Hl. Adal­bert steht, stammt aus dem frü­hen 14. Jahr­hun­dert und prägt die gesam­te ­Sil­hou­et­te der ehe­ma­li­gen Bischofs­stadt. Aber auch der Brun­nen darf als gleich­ge­wich­ti­ges Erken­nungs­zei­chen Rie­sen­burgs gel­ten. In der Mit­te eines gro­ßen Beckens erhebt sich ein Podest, auf dem fünf Löwen die – hier zum Teil sicht­ba­re – gro­ße Brun­nen­scha­le tra­gen. In zwei Stu­fen fol­gen noch jeweils klei­ne­re Scha­len, bevor eine Roland-​​­Plastik die zen­tra­le Ach­se krönt. Auf­fäl­lig und mäch­tig wirkt das Gan­ze zudem durch die kom­ple­xen figu­rativen und orna­men­ta­len Gestal­tungs­ele­men­te des neo­ro­ma­ni­schen Stils.

Die nahe­lie­gen­de Fra­ge, ob Stadt­vä­ter einer klei­ne­ren ost­deut­schen Stadt wohl tat­säch­lich solch ein Bau­werk in Auf­trag gege­ben haben, erweist sich als durch­aus begrün­det :  Der Brun­nen wur­de 1896 von Franz Schwech­ten geschaf­fen und 1900 vor dem Roma­ni­schen Haus in Ber­lin auf­ge­stellt. Erst als er dort 1928 der Moder­ni­sie­rung des Ver­kehrs­raums wei­chen muss­te, kauf­te ihn die Stadt Rie­sen­burg – und ließ seit­dem den wehr­haf­ten Rit­ter mit blo­ßem Schwert über ihre Rech­te und ihre Frei­heit wachen.

WPK 5 2021
worl​dis​beau​tiful​.eu

Stendsitz, Kr. Karthaus

Bei einer Fahrt durch die Kaschu­bi­sche Schweiz erreicht man 20 km süd­west­lich von Kart­haus das Dorf Stend­sitz, das am Süd­zip­fel des schma­len, aber sehr lan­gen und weit­ver­zweig­ten Radaune-​​Sees im Quell­ge­biet des gleich­na­mi­gen Flus­ses liegt. Das in süd­li­che Rich­tung hin auf­ge­nom­me­ne Foto zeigt, dass der Ort aus zwei Sied­lungs­ge­bie­ten besteht, die sich rechts und links von einer Land­brü­cke aus­deh­nen. In frü­he­ren Zei­ten han­del­te es sich auf­grund der Zuord­nung des Grund­be­sit­zes um zwei getrenn­te Ort­schaf­ten, um Adlig Stend­sitz im Wes­ten und um König­lich Stend­sitz im Osten. Die Gren­ze bil­de­te die Radau­ne, die, spä­ter­hin zum süd­lich anschlie­ßen­den vor­ma­li­gen Stasiczno‑, dem heu­ti­gen Stęży­ca– [Stendsitz-]See auf­ge­staut, über den schma­len Land­strei­fen in den Radaune-​​See fließt.

Hier wie in der gan­zen Regi­on wird das Auge von der sanft geschwun­ge­nen Hügel­land­schaft mit ihren aus­ge­dehn­ten Buchen­wäl­dern und kla­ren Seen, die des Öfte­ren auch aus tie­fer ein­ge­schnit­te­nen Tälern her­vor­leuch­ten, erfreut. Die­ser tou­ris­tisch opti­mal erschlos­se­ne Teil der pom­mer­schen Seen­plat­te lädt zudem dazu ein, die Natur und ihre Schön­hei­ten aktiv zu erkun­den :  bei Spa­zier­gän­gen oder auf Rad­wan­der­we­gen, mit dem Kanu oder im Segelboot.

Spon­tan lässt sich dabei ver­ste­hen, war­um die Kaschub­en erzäh­len, dass der lie­be Gott, der sie bei der Ver­tei­lung der Erde ver­ges­sen hat­te, ihnen groß­mü­tig das Land geschenkt habe, wo er sich selbst hät­te nie­der­las­sen wollen.

WPK 6 2021
Foto: Peter Schi­ckert (Ala­my Stock Photo)

Die Ruine der Deutsch­ordensburg Thor

Der Thor­ner Burg kommt an gleich zwei ent­schei­den­den his­to­ri­schen Punk­ten eine beson­de­re Bedeu­tung zu, denn sie steht sym­bo­lisch für den Auf­stieg wie auch den Nie­der­gang des Deut­schen Ordens.

Zum einen war sie, 1231 an der Weich­sel gegrün­det, die ers­te, die der Orden über­haupt im unte­ren Weich­sel­land errich­te­te. An ihrem heu­ti­gen Ort – eini­ge Kilo­me­ter strom­auf­wärts – ent­stand sie dann ab 1234 neu ;  nun schütz­te und beherrsch­te sie die zwei Jah­re spä­ter eben­falls hier­her ver­leg­te Stadt.

Zum ande­ren war sie Anfang Febru­ar 1454, am Beginn des Drei­zehn­jäh­ri­gen Krie­ges, wie­der­um die ers­te, die nach nur kur­zer Gegen­wehr von den Bür­gern erstürmt wur­de :  als Inbe­griff der inzwi­schen ver­hass­ten Ordens­herr­schaft, gegen die sich schon 1440 der von Adli­gen und Städ­ten getra­ge­ne Preu­ßi­sche Bund gebil­det hatte.

Um einer neu­er­li­chen Besat­zung, sei es durch den Orden, sei es durch Polen, den Boden zu ent­zie­hen, stimm­te der Stadt­rat der sofor­ti­gen Zer­stö­rung zu. Erhal­ten blie­ben ledig­lich der Dans­ker (von dem links im Bild das Ober­ge­schoss her­vor­ragt) und der über zwei Brü­cken­bö­gen füh­ren­de, von Quer­dä­chern gekrön­te Ver­bin­dungs­gang. Dort befin­det sich heu­te ein Muse­um, das einen Besuch eben­so lohnt wie das gesam­te, zugäng­li­che Gelän­de der ehe­ma­li­gen Burg, die seit den 1960er Jah­ren archäo­lo­gisch erforscht wor­den ist und inzwi­schen auch als ein­drucks­vol­ler Rah­men für Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen dient.

WPK 7 2021
Foto: Rein­hard Albers

Turnier vor dem Westflügel von Schloss Gollub [Golub]

Als hät­te der Betrach­ter eine Zeit­rei­se in die Ver­gan­gen­heit unter­nom­men, blickt er auf ein mit­tel­al­ter­li­ches Spek­ta­kel :  Wäh­rend sich lin­ker Hand Knap­pen und Pfer­de­knech­te noch ver­sam­meln, haben auf der Gegen­sei­te die Rit­ter schon in lan­ger Rei­he Auf­stel­lung genom­men und berei­ten sich auf eine fest­li­che Turnier-​​Eröffnung vor. Eini­ge haben bereits ihre – beson­ders archa­isch wir­ken­den – Topf­hel­me auf­ge­setzt, über vie­len flat­tern Ban­ner mit bild­kräf­ti­gen Hoheits­sym­bo­len, und der Kopf, Hals und Rumpf meh­re­rer Pfer­de sind von Stoff­über­wür­fen ver­hüllt, von „Ross­klei­dern“, die mit heral­di­schen Zei­chen wie fran­sen­be­setz­ten Säu­men ver­ziert sind.

Die Mittelalter-​​Szene mit ihren Fes­ten, Auf­zü­gen und Märk­ten hat sich wäh­rend der letz­ten Jahr­zehn­te in allen euro­päi­schen Län­dern eta­bliert, und fin­det ins­be­son­de­re in der Regi­on am Unter­lauf der Weich­sel, dem Kern­land des frü­he­ren Ordens­ter­ri­to­ri­ums, eine Viel­falt von Bau­denk­mä­lern vor, die sich in hohem Maße als Schau­platz sol­cher „Events“ eig­nen. Dazu zählt auch die ab 1293 ober­halb der gleich­na­mi­gen Drewenz-​​Stadt errich­te­te Deutsch­or­dens­burg Gollub, die zwi­schen 1613 bis 1623 im Stil der Renais­sance für Prin­zes­sin Anna Wasa zur Resi­denz umge­baut wurde.

Vor dem West­flü­gel erstreck­te sich ursprüng­lich die aus­ge­dehn­te Vor­burg, von der heu­te aber nur noch weni­ge Res­te zeu­gen – zum Glück für die Ritterspiel-​​Freunde, die dort nun ein idea­les Turnier-​​Gelände vorfinden.

WPK 8 2021
Foto: worl​dis​beau​tiful​.eu

Steinkreis bei Odry, Kr. Konitz

In der Tuche­ler Hei­de befin­det sich bei der Ort­schaft Odry – weni­ge Kilo­me­ter nörd­lich der Stadt Czersk – ein Feld mit Grab­hü­geln und zehn Stein­krei­sen, deren Durch­mes­ser von 15 bis zu 33 Metern betra­gen. Mega­li­then wie in Stone­henge soll­te man aber nicht erwar­ten, denn selbst die größ­ten Find­lin­ge errei­chen hier ledig­lich eine Höhe von 70 cm. Der Umfang der Anla­ge ins­ge­samt ist aber durch­aus beein­dru­ckend :  Es han­delt sich um das größ­te Grä­ber­feld die­ser Art in Polen sowie um das zweit­größ­te in ganz Europa.

Archäo­lo­gen haben ins­ge­samt 600 Körper- und Brand­grä­ber ent­deckt und ver­moch­ten sie anhand der Bei­ga­ben dem ers­ten bis drit­ten Jahr­hun­dert zuzu­ord­nen – und mit­hin der his­to­ri­schen ­Pha­se, in der ost­ger­ma­ni­sche Stäm­me wie die Goten im Weich­sel­land sie­del­ten. In die­sem kul­tu­rel­len Kon­text füh­ren Ver­su­che, von den Kreis­fi­gu­ren und ihrem Arran­ge­ment auf zusätz­li­che reli­giö­se oder kos­mo­lo­gi­sche Bedeu­tun­gen zu schlie­ßen, nicht all­zu weit. Immer­hin lässt sich aber nach­wei­sen, dass die Mit­tel­punk­te eini­ger Hügel Ach­sen bil­den, deren Posi­tio­nen an den Lauf­bah­nen der Son­ne ori­en­tiert sind.

Schon vor mehr als 60 Jah­ren wur­de das gesam­te Gebiet zum Reser­vat erklärt. Dadurch soll­ten aller­dings nicht nur die Stein­krei­se, son­dern gera­de auch etli­che sel­te­ne Flechten-​​Arten unter Schutz gestellt wer­den, die für gewöhn­lich nur im Hoch­ge­bir­ge vor­kom­men :  In eins behü­tet und bewahrt, gehen dort seit­dem Natur und Kul­tur eine enge Sym­bio­se ein.

WPK 9 2021
Foto: Dari­usz Kuz­min­ski (Ala­my Stock Foto)

Der Dom zu Oliva (Stadt Danzig)

Die schma­le West­fas­sa­de mit zwei schlan­ken Tür­men, die, eine gera­de­zu atem­be­rau­ben­de Dyna­mik ent­fal­tend, gen Him­mel stre­ben, bestimmt den Ein­druck, den die Besu­cher des Doms zu Oli­va für gewöhn­lich gewin­nen. Wenn zugleich aus einer deut­lich erhöh­ten Per­spek­ti­ve der lang­ge­streck­te Bau­kör­per als Gan­zes wahr­nehm­bar wird, erhöht sich noch­mals der Respekt, den die Authen­ti­zi­tät des Bau­werks ein­flößt : Nach­dem die Zis­ter­zi­en­ser im Lau­fe des 13. Jahr­hun­derts an ein 1200 ent­stan­de­nes Ora­to­ri­um das Quer- und das Lang­haus ange­baut hat­ten, blieb die Gestalt – abge­se­hen von der baro­cken Neu­kon­zep­ti­on der West­fas­sa­de – im Prin­zip unverändert.

Der neu­ar­ti­ge Blick auf den Dom ver­mag auch die Vor­stel­lung her­vor­zu­ru­fen, dass das ehr­wür­di­ge Archi­tek­tur­denk­mal wie ein Spei­cher sei­ner his­to­ri­schen Kon­tex­te und Bedeu­tun­gen wirkt : von den Brand­schat­zun­gen durch die Pru­ßen im 13. Jahr­hun­dert über das Boll­werk der Gegen­re­for­ma­ti­on bis zur Erhe­bung der Kir­che zur Kathe­dra­le des Erz­bis­tums Dan­zig, das 1925 auf dem Ter­ri­to­ri­um der Frei­en Stadt ein­ge­rich­tet wurde.

Der pracht­vol­le Baum­be­stand, unter des­sen herbst­lich gefärb­tem Blatt­werk sich im Hin­ter­grund der Äbte­pa­last eher ahnen denn ent­de­cken lässt, gehört zu dem aus­ge­dehn­ten und viel­ge­stal­ti­gen Park, der sich von hier an in öst­li­cher Rich­tung erstreckt: Es ist äußerst loh­nend, sich zunächst von dort aus dem Dom anzu­nä­hern – als behut­sa­me Hin­füh­rung auf das Erleb­nis der impo­nie­ren­den Westfassade.

WPK 10 2021
Foto: Artur Bociar­ski (Shut­ter­stock)

Am Fuß der Kamelhöhe auf der Frischen Nehrung

Auf der Fri­schen Neh­rung, wo die Bewoh­ner einst mit den Natur­ge­wal­ten auf dem Was­ser wie auf dem Lan­de um ihr kärg­li­ches Aus­kom­men kämp­fen muss­ten, suchen heut­zu­ta­ge Tou­ris­ten von nah und fern, ins­be­son­de­re zur Bade­sai­son, ihr Ver­gnü­gen. Bei ihnen ist das ehe­mals mon­dä­ne Kur­bad Kahl­berg äußerst beliebt.

Wer Ruhe jen­seits des bun­ten Trei­bens ersehnt, fin­det sie eher in den aus­ge­dehn­ten und dicht­be­wal­de­ten Dünen­ge­bie­ten, wo das Rau­schen in den Wip­feln der Kie­fern mit jenem des Mee­res ver­schmilzt. Öst­lich des Ortes ist die „Kamel­hö­he“ mit knapp 50 m die höchs­te Erhe­bung des Land­schafts­parks – dort gibt ein höl­zer­ner Aus­sichts­turm den Blick frei in die Wei­te :  gen Nor­den über den hel­len, brei­ten Sand­strand hin­aus aufs offe­ne Meer, zum Süden hin auf das Haff.

Die Auf­fors­tung des Dünen­kamms bie­tet neben sei­ner Schön­heit den zwin­gend not­wen­di­gen Schutz vor Ero­sio­nen, vor allem, wenn im Herbst die Stür­me gna­den­los über die hier nur 900 m brei­te Land­zun­ge hin­weg­fe­gen. Öko­lo­gisch nicht min­der bedeut­sam ist das Schil­fu­fer, das sich sanft geschwun­gen auf der Haff-​​Seite ent­lang­zieht. ­Einer Viel­zahl von Tie­ren gewährt es Schutz, einen Lebens­raum und auch Brut­platz und för­dert dar­über hin­aus die ste­ti­ge Ver­lan­dung. Das schar­fe Auge des Betrach­ters wird am Hori­zont die zar­ten Kon­tu­ren der gegen­über­lie­gen­den Küs­te wahr­neh­men. Von dort legen die Aus­flugs­schif­fe ab, um erwar­tungs­fro­he Besu­cher zum Hafen von Kahl­berg überzusetzen.

WPK 11 2021
Foto: Grze­gorz Paluch (Fin­gAir)

Die Kreisstadt Deutsch Krone

Die stim­mungs­vol­le Auf­nah­me lässt deut­lich spü­ren, dass die auf­ge­hen­de Son­ne bald die Kraft gewin­nen wird, die Dunst­schich­ten zu durch­drin­gen und den Nebel all­mäh­lich zum Ver­schwin­den zu brin­gen. Viel­leicht wäre aber auch die Vor­stel­lung nicht ganz abwe­gig, dass hier wun­der­sa­mer­wei­se eine ver­sun­ke­ne Stadt – wie eine Atlan­tis – wie­der aus den Flu­ten auftaucht ?

Trotz der mythisch anmu­ten­den Ver­schleie­rung ist gut zu erken­nen, dass eine Land­zun­ge male­risch in den noch von dich­tem Boden­ne­bel bedeck­ten Schloss-​​See ragt. Dort befan­den sich die frü­hes­ten, schon im 13. Jahr­hun­dert bestehen­den Ansied­lun­gen :  eine vil­la Cron des Temp­ler­or­dens und dane­ben ein sla­wi­sches Fischer­dorf mit dem (seit 1945 für die Stadt gel­ten­den) Namen Wałcz. Von der rech­ten unte­ren Bil­de­cke aus führt die Haupt­stra­ße gera­de­wegs in nord­öst­li­cher Rich­tung durch die Stadt. Dies ist die alte Post­stra­ße von Ber­lin nach Königs­berg, die spä­ter­hin ein Teil der Reichs­stra­ße 1 wur­de. Sie läuft am Markt­platz mit der neu­go­ti­schen katho­li­schen Kir­che sowie dem neo­ba­ro­cken Rat­haus und spä­ter­hin, bevor sie sich im Dunst ver­liert, am kom­pak­ten Gebäu­de der Reichs­post vorbei.

Am frü­hen Mor­gen ist die viel­be­fah­re­ne ­Stra­ße noch nicht vom Durch­gangs­ver­kehr beherrscht, und so lässt das Foto für einen Moment den Ein­druck einer gemüt­li­chen klei­nen Stadt wie­der­erste­hen, deren Anla­ge und Atmo­sphä­re von der im Umland domi­nie­ren­den Land­wirt­schaft geprägt wor­den sind.

WPK 12 2021
Foto: Bea­ta Biernat

Die katholische Kirche von Kasparus, Kr. Preußisch Stargard

Die Kon­flik­te, die das Ver­hält­nis zwi­schen Deut­schen und Polen in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts gera­de in West­preu­ßen beherrsch­ten, haben in dem klei­nen, bei Ossiek lie­gen­den Dorf Kaspa­rus deut­li­che Spu­ren hin­ter­las­sen :  Zum einen pro­tes­tier­te hier die pol­ni­sche Bevöl­ke­rungs­mehr­heit 1906/​​1907 mit einem denk­wür­di­gen, bis heu­te erin­ner­ten Schul­streik gegen die strik­te preu­ßi­sche Ger­ma­ni­sie­rungs­po­li­tik. Zum ande­ren war 1926 end­lich die seit lan­gem geplan­te katho­li­sche Kir­che errich­tet wor­den, 1939 wur­de jedoch der Pries­ter der Gemein­de von deut­schen Ein­satz­grup­pen ermordet.

Nicht zuletzt auf­grund die­ser geschicht­li­chen Erfah­run­gen pfle­gen die Dorf­be­woh­ner zu ihrer St. Josef-​​Kirche eine inni­ge Bezie­hung :  Obwohl die Zahl der Gemein­de­glie­der auf nur noch gut 150 gesun­ken ist – und die Pfar­rei inzwi­schen sogar eine der kleins­ten in ganz Polen bil­det –, wur­de 2013 für eine gründ­li­che Reno­vie­rung des Got­tes­hau­ses und des an der West­sei­te ste­hen­den Glo­cken­stuhls gesorgt.

Schon seit län­ge­rem wird die­se schmu­cke Dorf­kir­che von Foto­gra­fen ger­ne ins Bild gesetzt. Dabei erscheint der mit Klin­kern aus­ge­mau­er­te Fach­werk­bau mit dem poly­go­na­len Chor in der hier wie­der­ge­ge­be­nen Südost-​​­Ansicht beson­ders reiz­voll. Dass der Name des Ortes mitt­ler­wei­le vor allem mit die­sem belieb­ten Foto-​​Motiv und weni­ger mit frü­he­ren eth­ni­schen Span­nun­gen in Zusam­men­hang gebracht wird, hat somit letzt­lich etwas Fried­vol­les und Versöhnliches.

Die pol­ni­schen Text fin­den sich hier.